Sommer-Serie Ein schöner Tag auf den Spuren der Textilindustrie in Wuppertal
Museen und eine Route entlang ausgewählter Baudenkmäler erinnern an die große Zeit der Textilindustrie in Wuppertal. Auch heute können sich Interessierte auf die zahlreichen Spuren begeben, die auch nach dem Niedergang dieses Gewerbes zu finden sind.
Nein, als Seidenstadt bezeichnet sich Wuppertal nicht. Dabei wurde noch um 1900 in Barmen, Elberfeld und Ronsdorf (die 1929 zur Stadt Wuppertal vereinigt wurden) mehr Seide verarbeitet als in der für ihre Seidenindustrie berühmten Stadt Krefeld. Ja, Wuppertal hat eine glorreiche Vergangenheit als Textilstadt, Elberfeld und Barmen zählten zu den westlichen Zentren der für die Industrialisierung überhaupt bedeutsamen Textilindustrie. Weshalb der Begriff Seide für die Bandbreite der Aktivitäten – von der Verarbeitung von Leinen, Baumwolle, Wolle und Seide, über die Bekleidungsindustrie, Textilhandel, Textilchemie und Kunstseidenindustrie bis hin zur Zuliefererindustrie – zu kurz greifen würde. Und nochmals ja: Auch heute können sich Interessierte auf die zahlreichen Spuren dieser Zeit begeben, die auch nach dem Niedergang in den 70er Jahren des letzten Jahrhunderts zu finden sind. Mitarbeiter des Historischen Zentrums, namentlich der Historiker Reiner Rhefus in seinem Artikel „Die Wuppertaler Textilindustrie und ihre Baudenkmale“, Vereine und Ehrenamtler bewahren die Vergangenheit, erarbeiten Routen, Führungen und Vorträge.
Vielleicht sollte ein Besuch des Museums für Frühindustrialisierung am Anfang des Ausflugs stehen. Das ist zwar derzeit ausgelagert, weil das Historische Zentrum samt Engels-Haus umgebaut werden. Im Kontor 91 am Werth 91 kann sich der Besucher aber bestens orientieren und aufs Thema einstimmen. Eine Auswahl an Exponaten gibt erste Informationen, führt anschulich in die Historie ein, die 1527 mit der „Garnnahrung“, dem Privileg des Landesherrn zu bleichen und zu zwirnen, begann.
„Die interessanteste deutsche Textilstadt ist Wuppertal“, schrieb zum Beispiel der Schriftsteller Eberhard Frowein 1942. Zentrales Element der Wuppertaler Textilgeschichte ist die Herstellung von Bändern, die (zunächst aus Seide) gewebt oder gewirkt wurden – an handbetriebenen Webstühlen, die mit der Zeit durch immer besser funktionierende Maschinen ersetzt wurden. In Barmen, so Rhefus, „stellten die Bandweber bald etwa 40 Prozent der in der Textilbranche Beschäftigten“. Während die Bandweber in Fabriken arbeiteten, gab es auch Lohnbandwirker, selbstständige Webermeister, die im eigenen „Shed“ ein bis vier Stühle betrieben und im Auftrag der Firmen arbeiteten. Das Bandwirkermuseum in Ronsdorf (Remscheider Straße 50) führt an betriebsbereiten historischen Modellen in die Welt der Bandweber ein, die ab den 1860er Jahren den zunehmend glatten Stoffen durch mehr oder weniger schmale Bänder an den Kanten wieder ein Ornament verschafften.
Soweit das Kapitel Museum. Das Bandwebermuseum (mit seiner stilechten Hausbandweberstube) muss derzeit umzugsbedingt und die Bandweberei Kafka (mit ihren 25 über hundert Jahre alten Jacquard-Webstühlen im Bleicherhaus Tönnies in Langerfeld-Beyenburg) muss renovierungsbedingt in diesem Sommer pausieren. Letzteres bietet aber Gruppenführungen auf Anfrage an (Interessenten melden sich per E-Mail an: museum-kafka@c-pauli.de).
Weiteren Wissenshunger kann man zu Fuß, mit Hilfe von Schwebebahn, Bus und Auto stillen. Wer der einstigen Größe der Wuppertaler Textilindustrie anhand von achitektronischen Zeitzeugen nahekommen will, folgt am besten der Route „Textil im Wuppertal“. Denn: Wuppertal steht mit rund 4500 Baudenkmälern hinter Köln an zweiter Stelle im Land. 30 Gebäude hat die Stadt auf der Liste vermerkt, die sowohl die chronologische Entwicklung als auch die verschiedenen Zweige der Textil- und Bekleidungsindustrie präsentieren (17 Stationen liegen in der Nähe der Haltestellen der Schwebebahn; eine Auswahl sind auf unserer Karte vermerkt). Erläuterungstafeln stellen die Bauten in ihren historischen Zusammenhang. Da gibt es das Farbikensemble der Heminghaus & Co Futterstofffabrik in Arrenberg, die den feinen Futterstoff „Zanella“ herstellte, der Ende des 19. Jahrhunderts einen Boom erfuhr, oder das ehemalige große Textilgeschäftshaus, das nach Otto Kolkmann benannt wurde, der das 1900 als typischer Warenhausbau in Skelettbauweise geschaffene Gebäude 1950 erwarb.
Da gibt es in der Elberfelder Nordstadt die Zwirnererei Hebebrand, ein viergeschossiges Fabrikgebäude des Historismus. Oder das steinerne Doppelwohnhaus des Hermann Enters aus der zweiten Hälfte des 18. Jahhrunderts, das von Heimwebern genutzt wurde in Kothen (Barmen) und die Konzernzentrale der Vorwerk& Co.KG in Barmen, hervorgegangen aus einer Firma die bei ihrer Gründung 1883 zu den Pionieren der mechanischen Teppichweberei in Deutschland gehörte. Nicht zu vergessen das Fabrikensemble der ehemaligen Kunstseidenspinnerei J. P. Bemberg AG, heute Membrana Gmb in Langerfeld-Beyenburg.
Steinerne Zeugen einer stolzen Vergangenheit
Ergänzend zu diesen besonderen Bauwerken entstanden in Wuppertal in 13 Stadtteilen mit gut erhaltenem historischem Stadtbild weitere Industriekulturrouten, die unter dem Titel „Färben, Farben, Wasser - das Wuppertal im Industriezeitalter“ nicht selten einen thematischen Schwerpunkt im Textilgewerbe setzen. Rhefus nennt Beispiele: die Kunstseidenindustrie in Heckinghausen, die Bandindustrie in Wichlinghausen und Ronsdorf, die Futter- und Westenstoffwebereien im Quartier an der Friedrich-Ebert-Straße sowie die Bekleidungsindustrie und der Textilgroßhandel an der Hofaue.