Eine Stadt nimmt leise Abschied
Die Duisburger trauern schweigend um die 21 Toten der Loveparade.
Duisburg. Es ist die vielleicht stillste Stunde, die Duisburg je erlebt hat. Um 10.45 Uhr läuten am Samstag die Totenglocken in der Stadt. Die Straßen sind so gut wie leer. Viele Menschen haben sich in den 14 Kirchen und im Stadion versammelt, um der 21 Todesopfer der Loveparade zu gedenken.
Lediglich die Seelsorger, die bei dem Unglück eine Woche zuvor im Einsatz waren, und ein paar Bürger tragen schweigend Kerzen und Kondolenzbücher vom Unglücksort in die Salvatorkirche. Dort betreten die Angehörigen der Opfer das Gotteshaus durch einen Seiteneingang.
"Die Loveparade wurde zum Totentanz." Mit klaren Worten eröffnet Nikolaus Schneider, Ratsvorsitzender der Evangelischen Kirche im Rheinland, seine Predigt.
"Schreckensbilder besetzen unser Denken und Fühlen, junge Menschen, die verzweifelt um ihr Leben kämpfen, fassungslose Menschen, die ihrer Trauer und Wut ungefiltert Ausdruck geben; erschütterte Helferinnen und Helfer, Polizistinnen und Polizisten, die selbst Hilfe und Ermutigung brauchen, aber auch Erwachsene, die wie versteinert Verantwortung von sich weg schieben."
Obwohl der Toten und Verletzten gedacht wird, werden auch die möglichen Schuldigen immer wieder erwähnt. Der Essener Bischof Franz-Josef Overbeck bemerkt, dass Gott für alle da sei, "auch für die diejenigen, die sich der Verantwortung stellen müssen."
Oberbürgermeister Adolf Sauerland (CDU) hält sich dem Gottesdienst fern, er wolle mit seiner Anwesenheit nicht provozieren, ließ er mitteilen. Auch Loveparade-Veranstalter Rainer Schaller ist nicht da. "In der jetzigen Phase der Trauer möchte ich nicht stören", erklärte er in einem Interview mit der "Bild". Zu einem späteren Zeitpunkt wolle er sich aber mit Angehörigen treffen.
Unter den Trauernden sitzen Kanzlerin Angela Merkel (CDU), Bundespräsident Christian Wulff und NRW-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD). Sie spricht mit eindringlichen Worten. "Wer trägt die Schuld? Diese Fragen müssen und werden eine Antwort finden." Mit tränenerstickter Stimme erinnert sie sich an ihre eigenen Ängste: "Ich kann nachempfinden, was Eltern durchlitten haben, die stundenlang auf ein Lebenszeichen warten mussten." Auch ihr Sohn hatte die Loveparade besucht.
Die emotionalen Worte der Ministerpräsidentin erreichen die Menschen. "Ich war sehr bewegt", sagt Sven Horn (30), der mit Freunden die Übertragung im Stadion verfolgte. Entgegen den Erwartungen kamen nur rund 2.600 Menschen dort hin. Dennoch ist die Anteilnahme immens. Vom Stadion ziehen hunderte Menschen zum Unglücksort.
Kerzen und Briefe können sie dort jedoch nicht niederlegen. Der Tunnel ist gesperrt - aus Sicherheitsgründen. Aber auch weil die Familien der Opfer die Gelegenheit bekommen, Abschied zu nehmen. Von Seelsorgern begleitet und von der Polizei abgeschirmt sehen viele der Angehörigen zum ersten Mal den Ort, an dem ihre Liebsten starben.
Das Mitgefühl der Menschen gehört an diesem Tag ganz den Familien der Opfer. Am Nachmittag ziehen nochmals hunderte Menschen in stiller Anteilnahme durch die Stadt. In einem Park nahe des Unglücksortes lassen sie am Nachmittag Ballons für die vielen Opfer steigen: Mehr als 500 weiße für die Verletzten und 21 schwarze für die Toten.