70 Jahre NRW Von „Köpper“ bis „Pläte“: Dialekt schwindet, NRW-Deutsch kommt

Welches Kind lernt als erste Sprache noch Platt? Sprachwissenschaftler sagen, dass die regionalen Anteile in unserem Wortschatz seit Jahren schwinden. Forscher aus dem Rheinland und aus Westfalen dokumentieren nun erstmals die Mundarten in NRW.

Der Bonner Sprachforscher Georg Cornelissen hat festgestellt, dass immer weniger Dialekt gesprochen wird. (Archivfoto)

Foto: Federico Gambarini

Bonn/Münster (dpa/lnw) - Vor 200 Jahren konnten sich Rheinländer und Westfalen kaum miteinander unterhalten, so unterschiedlich war ihr Platt. Seit 70 Jahren leben sie in einem Bundesland, und sprachlich kommen sie sich immer näher. Obwohl es noch Unterschiede gibt.

Die alte Vielfalt blüht immer noch, wenn es etwa ums Naschen geht. Für das Bonbon gibt es viele Wörter im großen NRW: „Boms“, „Klümpken“, „Bröckskes“, „Ballekes“ oder eben „Kamelle“. Aber all die hübschen Begriffe können nicht darüber hinwegtäuschen, dass Mundart in Nordrhein-Westfalen schwindet - zugunsten einer Art „Dialekt light“. Diese Entwicklung verfolgen Sprachforscher seit vielen Jahrzehnten. Ein Wort wie „Bömsken“ aus dem westfälischen Platt wird dann zum Schmuckstück in der Alltagssprache.

„Der Dialekt stirbt aus“, sagt Georg Cornelissen, Sprachwissenschaftler am Institut für Landeskunde und Regionalgeschichte des Landschaftsverbandes Rheinland (LVR). Nach seiner Beobachtung gehen die regionalen Anteile im Wortschatz seit vielen Jahren zurück. Es sprechen immer weniger Menschen im Alltag Dialekt.

Diese Erfahrung bestätigt Markus Denkler vom Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL). „Ich hab schon länger niemanden mehr gehört, der seinen Kindern als Erstsprache Plattdeutsch beibringt“, berichtet der Sprachwissenschaftler. Es gebe Regionen, etwa im Lippischen oder im Märkischen Kreis, wo der örtliche Dialekt schon länger Seltenheitswert habe.

In einer rheinisch-westfälischen Koproduktion haben sich die beiden Forscher aus Bonn und Münster zusammengetan: Erstmals in der 70-jährigen NRW-Geschichte dokumentieren sie Mundarten beider Landesteile. Und zwar im Kontrast von aktuellen Sprachaufnahmen und alten aus den 1950er Jahren. „Da kann man die Unterschiede innerhalb von NRW sehr gut greifen, etwa dass jemand vom Niederrhein einen vom Lipper Land überhaupt nicht verstehen konnte“, berichtet Denkler. Anfang 2017 soll die CD der beiden Landschaftsverbände erscheinen.

Der Bonner Wissenschaftler Cornelissen stellt fest, dass Rheinländer und Westfalen die alte Sprachgrenze zunehmend überwinden. „Es gibt mehr sprachliche Gemeinsamkeiten, als man denkt.“ Das klingt überraschend, weil sonst die Unterschiede im Vordergrund stehen.

Die Forscher stellen fest, dass an die Stelle von Platt eine regionale Variante des Hochdeutschen tritt. Bestimmte regional geprägte Wörter werden Allgemeingut. Sie stehen nicht unbedingt im Duden, werden aber fast überall im großen NRW gesprochen: Worte wie „Pläte“, „Köpper“ oder „pingelig“ sind inzwischen in beiden Landesteilen gebräuchlich. Auch „Plörre“, „Flitzebogen“, „friemeln“, „Kappes“ für Unsinn oder „strunzen“ für angeben hört man sowohl in Westfalen als auch im Rheinland.

Wichtig für den Weg der Sprache war das Jahr 1815, als das heutige Nordrhein-Westfalen preußisch wurde. In Westfalen und dem Rheinland wurde die gleiche Sprachpolitik gemacht. Die Ausbildung an den Schulen wurde vereinheitlicht. Am unteren Niederrhein war zuvor noch auf Niederländisch unterrichtet worden - das war dann vorbei. Am Ende des 19. Jahrhunderts hatten dann alle Rheinländer und Westfalen Kontakt mit Hochdeutsch.