Göring-Eckardt: „Die Bundestagswahl wird eine Richtungsentscheidung“
Katrin Göring-Eckardt, die zusammen mit Cem Özdemir Spitzenkandidatin der Grünen bei der Bundestagswahl ist, wirft der FDP vor, europafeindlich zu sein, und kritisiert Altkanzler Gerhard Schröder (SPD) scharf.
Wuppertal. Die heiße Phase des Bundestagswahlkampfes hat begonnen. Für Katrin Göring-Eckardt bedeutet das fast 14 000 Kilometer Deutschlandtour durch 90 Städte zu 130 Veranstaltungen. „Ich mache das gern, so durch Deutschland zu fahren“, sagt sie im Gespräch mit unserer Zeitung. Angesichts von Umfragewerten für ihre Partei scheint es aber auch notwendig zu sein. Für die grüne Doppelspitze Göring-Eckardt (51) und Cem Özdemir (50) ist es vermutlich die letzte Chance als Spitzenpersonal der Grünen. Da scheint es beruhigend zu sein, dass nach Ansicht von Göring-Eckardt 30 bis 40 Prozent der Wähler noch keine Wahlentscheidung getroffen haben.
Frau Göring-Eckardt, wie geht es den Grünen?
Göring-Eckardt: Gut.
Bei acht Prozent im Kopf-an-Kopf-Rennen mit FDP und Linken?
Göring-Eckardt: Ja. Der Wahlkampf läuft gut. Unsere Themen spielen eine wichtige Rolle. Nehmen Sie den Dieselskandal. Durch ihn wird über Klimapolitik und Verbraucherrechte diskutiert. Oder nehmen Sie den Eierskandal: Den Menschen wird klar, dass eine industrielle Massentierhaltung der falsche Weg ist.
Jüngste Umfragen sagen aber, dass Bildungsgerechtigkeit und Sicherheit die wichtigsten Themen sind.
Göring-Eckardt: Sehr viele Menschen sind von ungerechten Bildungschancen unmittelbar betroffen, deshalb ist der Kampf dagegen wichtig. Deswegen sagen wir ja, dass das Kooperationsverbot zwischen Bund und Ländern keinen Sinn hat, damit der Bund in die Bildungsfinanzierung einsteigen kann.
Wenn Sie diese Trennung nicht wollen, warum sprechen Sie sich dann nicht gleich für ein zentrales Bildungssystem aus?
Göring-Eckardt: Damit haben wir in der DDR keine guten Erfahrungen gemacht.
Aber heute sind die Voraussetzungen doch andere. Ist es wirklich noch zeitgemäß, dass ein Abitur in Hamburg oder Bremen weniger wert ist als in Bayern?
Göring-Eckardt: Ich finde, Wettbewerb ist nicht schlecht. Aber es muss dabei sicher sein, dass das Angebot überall gut ist.
In NRW sind die Grünen im Mai mit Sylvia Löhrmanns Inklusion gescheitert.
Göring-Eckardt: Inklusion ist eine langfristige Aufgabe, um zum Erfolg zu kommen. Daher werden wir das erst langfristig sehen.
In NRW eher nicht.
Göring-Eckardt: Ja, hier legen CDU und FDP einen anderen Kurs an. Ich glaube, dass wir die Debatte trotzdem weiter haben werden. Inklusion funktioniert aber nur, wenn es genügend Personal dafür gibt.
Täuscht der Eindruck, oder werden ihnen von der Bundeskanzlerin immer mehr Themen abgenommen?
Göring-Eckardt: Wieso?
Die Grünen haben jahrzehntelang gegen Atomkraft gekämpft und Frau Merkel schaltet dann die Kraftwerke ab.
Göring-Eckardt: Ach so, keine Sorge, wir haben noch genügend im Köcher, das andere gerne mit umsetzen können. So wie jüngst auch die Ehe für alle. Aber der Beschluss zum Atomausstieg ist im Jahr 2000 von den Grünen mit der SPD gefasst worden. Frau Merkel hat die Laufzeiten 2010 erst verlängert und nach Fukushima 2011 verkürzt. Aber das Ende der Atomkraft ist eine Leistung der Grünen.
Wo Sie ihre Regierungszeit mit Gerhard Schröder (SPD) schon erwähnen: Was sagen Sie zu dessen möglichen Engagement für den staatlichen russischen Ölkonzern Rosneft?
Göring-Eckardt: Das Herr Schröder eine gewisse Nähe zu Russland und Putin hat, ist ja nicht neu. Aber jetzt nimmt das eine Form an, die ich nicht akzeptieren kann. Der Eindruck ist, Edellobbyist Schröder bestimmt und die SPD wackelt hinterher. Wenn Außenminister Gabriel Konzerninteressen seines Parteifreunds Schröder über EU-Interessen in Sachen Energiepolitik stellt, ist das ein veritables Problem für Deutschland und ein Affront gegenüber unseren europäischen Nachbarn.
Befürchten Sie politische Folgen?
Göring-Eckardt: Ich kann nur hoffen, dass das Gespräch zwischen Putin, Schröder und Außenminister Gabriel im Juni nicht darum ging, die Sanktionen gegen Russland aufzuheben.
Gilt das auch für den Vorschlag von FDP-Chef Christian Lindner, die Annexion der Krim durch Russland zunächst als gegeben hinzunehmen?
Göring-Eckardt: Wenn man Lindner so zuhört, dann ist das nicht mehr Europa, was da kommt. Die FDP möchte Griechenland aus dem Euro drängen. Das mag gut für Umfragen sein, aber es wäre schlimm für Europa. Und auch in der Klimapolitik macht die FDP genau das Gegenteil von dem, was wir wollen. CDU und FDP hebeln in NRW das Klimaabkommen von Paris aus, damit klimaschädliche Kohlekraftwerke länger am Netz bleiben und Erneuerbare Energien ausgebremst werden. Das Ergebnis dieser Politik landet sprichwörtlich als Quecksilber aus den Kohlekraftwerken dann auf unserem Salat.
An der sind aber auch SPD-geführte Länder beteiligt, nicht nur NRW.
Göring-Eckardt: Sie sagen es. Das ist die ganz große Kohle-Koalition, inklusive der Linkspartei. Mit Martin Schulz würde ich deshalb genauso über die Kohlepolitik streiten wie mit Frau Merkel.
Aber im Moment sieht es ja so aus, als sollte niemand Frau Merkel das Wasser reichen können.
Göring-Eckardt: Umfragen sind selten Wahlergebnisse. Aber ja, am Ende wird es voraussichtlich vor allem um die Frage gehen, wer wird drittstärkste Kraft im Land und nicht, wer stellt den Kanzler. Das ist eine Richtungsentscheidung für die kommenden vier Jahre.
Inwiefern?
Göring-Eckardt: Wollen wir eine FDP mit Lindners rückwärtsgewandter Klima- und Europapolitik oder wollen wir die Grünen und einen Kampf für Klimaschutz, grüne Mobilität, nachhaltige Landwirtschaft, gegen Kinderarmut und mehr Gerechtigkeit?
Wann ist die Wahl für Sie eine erfolgreiche Wahl?
Göring-Eckardt: Wenn wir drittstärkste Kraft sind, mit Möglichkeiten zu koalieren. Sie werden von vielen Konservativen oft als Einladung an die CDU verstanden. Und Cem Özdemir ist auch nicht gerade ein Anton Hofreiter.
Zögen Sie Schwarz-Grün also Rot-Grün vor?
Göring-Eckardt: Nein. Aber Rot-Grün ist leider derzeit nicht sehr realistisch. Und für die anhaltende Schwäche der SPD bin ich nicht zuständig. Wir wollen, das Land ökologisch modernisieren, kämpfen für soziale Gerechtigkeit und für eine weltoffene, freie Gesellschaft. Uns geht es doch nicht darum, mit wem, sondern ausschließlich darum, wofür.