Interview Dieter Nuhr: „Der klassische Konservative stirbt weg“

Ein Gespräch mit dem Kabarettisten Dieter Nuhr über die Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen, den Innenminister Jäger, Wünsche an die Regierung - und Wahlplakate mit Schafen.

Dieter Nuhr. Archivbild.

Foto: Flic Flac/dpa

Düsseldorf. Am Sonntag wählt NRW. Kabarettist Dieter Nuhr hat es schon hinter sich. „Briefwahl, schon erledigt“, sagt er im Gespräch mit unserer Zeitung. Trotzdem gibt es noch einiges zu besprechen. Für manchen ist so eine Wahl ja auch nur mit viel Humor zu ertragen. Da ist Nuhr ein geeigneter Gesprächspartner. Also los.

Herr Nuhr, warum wählen Sie am Sonntag in NRW? Und warum empfehlen Sie es auch Ihrem Nachbarn?

Dieter Nuhr: Weil die Möglichkeit, die Grundlinien der Politik mitzubestimmen, eine großartige und lang erkämpfte Errungenschaft ist. Meinem Nachbarn muss ich nicht empfehlen zu wählen. Der geht freiwillig. Er ist Sozialdemokrat seit 1871.

Was hat Sie in NRW in der nun zu Ende gehenden Legislaturperiode wirklich gestört?

Nuhr: Als Tourneekünstler muss ich viel Autofahren. Da fände ich es nicht schlecht, wenn auf unseren Autobahnbaustellen ab und zu gearbeitet würde. Stattdessen werden mitten auf der Fahrbahn jahrelang sinnlos Baken abgestellt, an denen man kaum vorbeikommt. Prima wäre auch eine Bildungspolitik, die nicht bloß den Mangel verwaltet. Ich halte Schulformdiskussionen für überschätzt. Es wäre einfach schön, wenn Lehrer da wären. Und Kreide. Ich fände es auch gut, unseren Polizisten ab und zu mal das Gefühl zu geben, dass sie mehr sind als Sparpotenzial. Die halten für uns den Kopf hin, wo Politik versagt hat und fühlen sich dementsprechend im Stich gelassen. Leider zu Recht. Ich denke das gleiche gilt für Pflege- und medizinisches Personal. Wie viel Platz habe ich hier eigentlich?

Wahlkampfgetöse allerorten, vor allem in diesen letzten Tagen. Hinhören — oder eher nicht?

Nuhr: Eher weniger. Ich betrachte lieber die komplette Wahlperiode.

Alle dreschen auf Innenminister Ralf Jäger ein. Schreckt das den Kabarettisten eher ab oder regt die Figur zur kabarettistischen Arbeit an?

Nuhr:
Da wird die Prominenz überschätzt. Wenn ich im Allgäu oder in Berlin auftrete, kennt man den Mann ja gar nicht. Und ich denke, der Bekanntheitsgrad wird nach der Wahl noch abnehmen.

Spitzenkandidaten sind Spitzenkandidaten sind Spitzenkandidaten: Kraft hier, Laschet dort. Welche Unterschiede nehmen Sie wahr? Oder doch alles eins?

Nuhr:
Ich finde, dass man die beiden auf den Wahlplakaten ganz gut unterscheiden kann, schon an der Haarfarbe. Frau Kraft ist ja der Kopf der großen Kollektivismuskampagne unter dem Motto NRWir und als gütige Mutter der rheinisch-westfälischen Zwangsfamilie omnipräsent. Herr Laschet hat ein bisschen Schwierigkeiten beim Lächeln gehabt. Seine Partei arbeitet ja stark mit Empörungs-Plakaten unter dem Motto „Uns reicht’s“. Das klingt für mich oft mehr nach Linke oder AfD.

Was halten Sie von Christian Lindner als Ein-Mann-Rettungsring der FDP?

Nuhr: Er versucht, im Dauereinsatz darauf hinzuweisen, dass der Mensch auch eine gewisse Selbstverantwortung für sein Leben trägt, ein interessanter Ansatz. Ich finde, der FDP steht der Dreitagebart besser als die Pharmareferenten-Anzüge der Westerwelle-Ära. Er muss aufpassen, dass er genügend Schlaf kriegt.

Und wenn es die Grünen nicht mal mehr in den Landtag schaffen, dafür aber die AfD wie erwartet deutlich, was dann?

Nuhr: Dann wird Frau Löhrmann vielleicht wieder als Lehrerin arbeiten müssen. Da wird sie mal sehen, wie es an einer Schule zugeht, sicher eine neue Erfahrung. Und bei der AfD wird man vier Jahre lang begutachten können, wie man aus substanzloser Empörung ein gutes Einkommen generieren kann.

Wird die Bedeutung der Landespolitik überschätzt?


Nuhr: Nein. So ein Bundesland hat ja enorme Entscheidungsbefugnisse, unter anderem über das, was unseren Kindern tagsüber in die Birne getrichtert wird, wie verhindert wird, dass ich auf offener Straße massakriert werde oder wie es um die Beschaffenheit der Fluchtwege für kriminelle Mitbürger bestellt ist. Schule, Polizei, Infrastruktur. Das sind wichtige Themen.

Wie sähe das ideale Wahlplakat aus?

Nuhr: Auf dem idealen Wahlplakat stünde: „Hier kein Slogan! Schauen Sie einfach nach, was wir in den letzten fünf Jahren gemacht haben.“ Das Ganze vielleicht mit einem Foto mit Schafen drauf. Ich mag Schafe.

Viele glauben in NRW an eine große Koalition. Würden Sie die gerne verhindern?

Nuhr: Die große Koalition ist folgerichtig, weil CDU und SPD nicht mehr polarisieren. Wir haben eine breite sozialdemokratische Mitte, in der SPD und CDU identisch sind. Der klassische Konservative, der Schwulsein für verwerflich und Löcher in der Hose für den Untergang des Abendlandes hält, stirbt weg. Die Übriggebliebenen sammeln sich in der AfD. Dort ist auch Platz für die letzten Rassebiologen. Der linke Rand ist erstaunlicherweise in vielen Bereichen mit dem rechten identisch. Frau Wagenknecht hat viele Freunde bei der AfD. Dass sich die Mitte gegen die Verwirrten am Rand zusammentut, halte ich nicht für verwerflich.

Sie dürfen sich von einer kommenden Regierung drei Dinge wünschen. Was wäre das?

Nuhr: Ich bin ja eigentlich wunschlos glücklich, aber wenn die nächste Regierung wirklich als Wunschfee in Erscheinung treten würde, dann würde ich mir ein paar alpine Berge im Sauerland, Ebbe, Flut und Brandung für den Rhein und die Zusammenlegung des Ruhrgebietes unter der Bezeichnung Shanghai-West wünschen.

Briefwahl oder Wahllokal ?

Nuhr: Briefwahl, schon erledigt. Und ich kann sagen, dass ich auf die Wahl von MLPD oder AfD verzichtet habe. Wieso die DKP hier auch als Linke antritt habe ich nicht verstanden. Die Proletarier dieses Landes sind offenbar gespalten.

Wie verbringen Sie den Wahlabend am Sonntag?

Nuhr: Da ist Auftritt in Wien. Vorher gehe ich ins Naturhistorische Museum mit seinen Tausenden ausgestopften Tieren. Da kommen einem die Wahlabende im Fernsehen plötzlich ganz lebendig vor.

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