"Die Höhle hat ihr eigenes Wolkensystem"

Vom Boot in der Halong Bay geht es für mich direkt auf eine viereinhalbstündige Busfahrt nach Hanoi und dort in einen Nachtbus zur Elf-Stunden-Fahrt Richtung Süden nach Phong Nha. Als ich dort morgens früh um halb fünf aussteige, schwankt meine Welt von all dem Geschuckel auf Wasser und Straßen noch gewaltig.

Foto: Juliane Kinast

Ich bin eigentlich todmüde. Aber der Erkundungsdrang gewinnt, und so sitze ich nach einem schnellen Frühstück im Hostel "Easy Tiger" auf einem quietschenden Fahrrad und dümpel durch die Landschaft.

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Die Landschaft in Zentralvietnam ist ganz anders als im hohen Norden an der chinesischen Grenze. Flacher, auf den ersten Blick unspektakulärer. Es ist vor allem Farmland, zwischen Reisfeldern weiden Kühe, in den vielen Flüssen und Bächen plantschen Büffel. Phong Nha lebt aber vor allem von ein paar wenigen verrückten Menschen - vor allem Ausländer, die in vietnamesische Familien eingeheiratet haben -, die dieses Fleckchen Erde sehr lieben und ein bisschen Tourismus gestartet haben.

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Dass das Niveau noch nicht wahnsinnig hoch ist, merkt man an der Begeisterung und Verwunderung, mit der mich die einheimischen Familien beim Vorbeiradeln grüßen. Oder an der kleinen handgezeichneten Karte, die ich in der Hand halte, und in die jemand mit viel Ortskenntnis und -verliebtheit Dinge eingetragen hat wie "Shop, der alles hat", "Mountain River Café - versucht den Schokoladenkaffee!" oder "Pub mit kaltem Bier". Auch an dem fahre ich vorbei - er heißt tatsächlich "Pub with cold beer" und zwar einfach weil er zu den raren Etablissements in dieser Landschaft gehört, die in der Tag gekühltes Bier verkaufen.

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Ich bin nachhaltig verknallt in dieses winzige Städtchen fernab von allem. Und frage mich wie immer, wenn das auf meiner Reise passiert ist, wann es dem Rest der Welt auch so ergehen wird. Das, was Phong Nha vor dem endgültigen Einsetzen des internationalen Massentourismus schützt, ist, dass seine allergrößte Attraktion der Öffentlichkeit fast unzugänglich ist: Hang Son Doong, die größte Höhle der Welt. Entdeckt wurde sie erst vor wenigen Jahren. Obwohl das eigentlich nicht richtig ist.

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Denn Ho Khanh - auch Besitzer des Mountain River Café - war schon in den frühen 1990ern zufällig in die Grotte gestolpert, hatte das aber einfach mal für sich behalten, bis britische Forscher irgendwann ins Dorf kamen und direkt herumfragten, ob die Einheimischen wohl von weiteren als den bisher offiziell bekannten Höhlen wüssten. Da meldete sich Khanh dann doch mal - musste aber erst mal mit Mitteln aus Großbritannien ein paar Jahre suchen, bis er seine Entdeckung ein weiteres Mal entdeckte. Erst seit 2013 hat die vietnamesische Regierung Zutritt zur Höhle gewährt. Jetzt dürfen jedes Jahr 100 Menschen für je 3000 US-Dollar hinein - die Warteliste ist lang und mein Budget gibt das leider nicht her.

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Wer aber schon drin war, ist mein Guide Joe auf einer Tour in den Nationalpark Phong Nha-Ke Bang, gleichzeitig Sohn des Besitzers des hiesigen Farmstays und sozusagen Begründer der Tourismusbranche in Phong Nha. "Ganz ehrlich, der Besuch wäre auch 20.000 Dollar wert", sagt Joe. "Die Höhle ist so rieisig, dass sie ihr eigenes Wolkensystem hat. Es regnet in ihr!" Eine Dimension, die ich mir beim besten Willen nicht vorstellen kann.

Foto: Juliane Kinast

Dafür bleibt uns die Paradieshöhle, auch erst seit 2011 geöffnet und immerhin 31 Kilometer lang. Der Pfad für Besucher allerdings führt nur etwa einen Kilometer in die spektakuläre Grotte mit ihren gewaltigen Stalagmiten - und da die Höhle inzwischen Halong Bay in der Beliebtheit der einheimischen Touristen überholt hat, ist er ziemlich überfüllt. Dafür hat unsere Gruppe im Anschluss die Dark Cave ganz für sich, die eben genau das ist: eine sehr dunkle Höhle.

Foto: Juliane Kinast

Mit Helmen und Kopflampen geht es für uns in die dusteren Gänge, bis wir nach etwa einer Viertelstunde in einem unterirdischen Pool aus weichem, braunem Matsch landen "Das hält jung!", verspricht Guide Joe. Und immerhin schwimmen wir danach durch einen eiskalten Fluss und können uns waschen - nur blöd, dass man die spitzen Felsen im Dunkeln nicht sieht. Ich komme mit blutigen Kratzern am Bein und einem tiefen Schnitt unterm linken Fuß aus meinem Höhlenabenteuer. Erkundungsdrang tut bisweilen nun einmal weh.