Schönste Aussichten sind verboten schön
Eigentlich wollte ich von Hanoi aus ja gleich die vietnamesische Küste hinunterreisen. Aber wie immer hatte ich nichts geplant und wollte Raum für neue Ideen lassen. Zum Glück. Denn kaum bin ich gelandet, schwärmt mir ein jeder Reisender von den Bergen Richtung chinesischer Grenze vor.
Und da ich seit Myanmar ja ein erklärter Hochland-Fan bin, buche ich spontan ein Busticket nach Sapa. Im Internet finde ich ein Doppelzimmer mit Kingsize-Bed und Balkon für sieben Euro - Vietnam ist ja so gut zu mir. Und in dem Moment, als ich in Sapa aus dem Bus steige, weiß ich: Ich habe eine grandiose Entscheidung getroffen.
Sapa wurde in den 1920ern von den französischen Kolonialherren gegründet und wird heute beherrscht von atemberaubenden Aussichten über hohe Berggipfel und Kaskaden knallgrüner Reisfelder - und zugegebenermaßen von Touristen. Ich weiß nicht, woran es liegt, dass es mich in diesem Fall überhaupt nicht stört. Vielleicht an der guten Luft hier oben. Oder einfach an Sapas genereller Schönheit.
Nachdem ich mein Gepäck losgeworden bin, laufe ich erst einmal los. Jeder Backpacker hier oben bucht Trekking-Touren. Aber dafür ist später noch Zeit. Ich spaziere einfach bergab Richtung Felder - und finde schnell heraus: Wenn ein Schild sagt "Dangerous Touristpath - no trekking", dann muss man dort auch einfach mal abbiegen und trotzdem entlanggehen. Die schönsten Aussichten sind eben verboten schön.
Am nächsten Tag und nach einem gigantischen Pfannkuchenfrühstück von den reizenden Mädchen in meinem kleinen Hotel treffe ich mich an der Kirche - dem zentralen Meeting Point der Stadt - mit Tien, den ich am Nachmittag zuvor kennen gelernt habe. Für zehn US-Dollar kutschiert mich Tien mit seinem Motorrad durch die Umgebung Sapas. Zum 100 Meter hohen Silver Waterfall, dann zu einem kurzen Hike entlang des Golden Streams zum Love Waterfall - dem Liebes-Wasserfall. Ein perfektes Idyll - bis auf eine riesige Gruppe chinesischer Touristen mit Damen in Stöckelschuhen und laut ins Handy disputierenden Herren. Wir sind der Grenze eindeutig sehr nah.
Höhepunkt unserer Fahrt über die Serpentinen ist der Tram Ton Pass. Dieser höchste Bergpass des Landes führt auf 1900 Metern von Sapa nach Lai Chau - und an der Nordseite von Fansipan entlang, dem höchsten Berg des Landes mit über 3100 Metern. Wohin auch immer ich den Kopf drehe, atemberaubendes Panorama, weiße Wolken, die über grüne Gipfel kriechen, steile Hänge. In einem Jahr auf der Reise hat mich nur wenig so umgehauen wie das vietnamesische Hochland. Und das werde ich morgen ganz nah kennen lernen: Ich habe eine junge Frau vom Stamm der H'Mong kennen gelernt - einer Minderheit aus den Bergen. Mit ihr werde ich zu ihrem Dorf trekken und dort übernachten. Ich kann es kaum erwarten.