Luft raus in Angkor Wat

Als letzte Station meiner sagenhaften Reise habe ich mir eine besondere ausgesucht. Angkor Wat, die sagenhafte Tempelstadt im Herzen Kambodschas. Natürlich ein Weltkulturerbe. Ich nehme mir zwei Tage Zeit, den Himmel auf Erden zu erkunden - denn das sollte Angkor Wat für die großen Könige einst sein.

Beeindruckender Blick auf die Tempelanlage

Foto: Juliane Kinast

Die ersten Tempel entstanden im neunten Jahrhundert. Eine unfassbare Zeitspanne.

Und eine romantische Vorstellung, die allerdings schwer festzuhalten ist, als ich morgens um halb sechs im Halbdunkel mit den Touristenmassen den abgetretenen Steinweg zum Haupttempel Angkor Wat getrieben werde. Traditionell sieht man sich hier den Sonnenaufgang über dem angeblich weltgrößten religiösen Bauwerk an. Leider ist es heute sehr wolkig - und so beschließe ich, die Zeit zu nutzen, die alle Gruppentouren noch brav draußen ausharren, um den Tempel in der Dämmerung ganz allein zu erkunden. Tatsächlich strahlt der alte Stein, mit Moos und kleinen Flechten bewachsen, einen sonderbaren Zauber aus. Kaum vorstellbar, was es die Hindu-Gläubigen gekostet hat, dieses Wahrzeichen und Herz Kambodschas zu errichten. Laut Überlieferungen waren 300.000 Arbeiter und 6000 Elefanten dazu nötig.

Kontrastprogramm mit Angkor Wat und einer Ladyboy-Show
16 Bilder

Kontrastprogramm mit Angkor Wat und einer Ladyboy-Show

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Ich versuche in meinen zwei Tagen, an den Strömen der Reisenden vorbeizufließen. Am ersten Tag erfolgreich mit Hilfe meines Tuk-Tuk-Fahrers Sambun, der mich zu den weiter entfernten, kleineren Tempeln fährt. Am zweiten Tag erkunde ich dann mit dem Fahrrad auf eigene Faust die größeren Bauten. Besonders verliebe ich mich in Ta Prohm, den im 12. Jahrhundert erbauten Dschungeltempel, in dem Szenen der Filmreihe "Tombraider" gedreht wurden. Nicht umsonst. Überall wachsen gigantische Urwaldbäume auf den alten Steinen des Tempels, schmiegen sich die großen Wurzeln um alte Bildnisse, halten brüchige Mauern in einem eisernen Griff. Es ist eine Kulisse, die schwerlich von dieser Welt zu sein scheint.

Dank der Touristen um mich herum, habe ich aber auch immer wieder etwas zu lachen in aller religiösen Schwere. Hier meine liebsten Zitate. Nummer drei: Ein Brite streicht in Ta Prohm über eine der großen Wurzeln und dreht sich zu seiner Begleiterin um: "Du, ich glaube wirklich nicht, dass das Imitate sind!" Ach wirlich? Nummer zwei: Ein Führer erklärt seiner Gruppe, dass die Bäume im Tempel wachsen, weil dort einfach mal Samen herabgefallen sind und gekeimt haben. Eine Frau schaut verwundert: "Ach, ich dachte, sie hätten den Tempel um die Bäume herum gebaut." Bei 800 bis über 1000 Jahre alten Bauwerken natürlich sehr wahrscheinlich. Und die unangefochtene Nummer eins: Eine Frau sieht die Gerüste für die Restaurationsarbeiten am Haupttempel Angkor Wat und stupst ihren Mann an: "Oh guck mal, der hier ist ja noch im Bau!" Mit Geld nicht zu bezahlen ... Weniger lustig finde ich wieder einmal die weiblichen Reisenden jeden Alters, die in Shorts und Trägershirts geflissentlich an den vielen Schildern vorbeigehen, die um angemessene Kleidung in diesem heiligsten aller Heiligtümer bitten. Viel Raum zum Fremdschämen.

So eine Tour durch Angkor Wat ist anstrengend - mit Fahrrad und all dem Gekletter auf einige der größten Tempel der Welt. Aber ich kann berichten: Mit Platten wird es erst so richtig schön schwitzig. Den habe ich leider kurz hinter Prasat Kravan mit seinen Backsteintürmen und den fantastisch erhaltenenen Reliefs im Inneren, meiner ersten Station. Schnaufend trete ich mein Rad von einem Tempel zum nächsten - bis ich endlich kurz vor Ende einen Mann mit Luftpumpe ausfindig machen und wenigstens einigermaßen unbehelligt zurück nach Siem Reap rollen kann.

Nach zwei Tagen Weltkulturerbe im Akkord ist aber auch bei mir jetzt offen gestanden die Luft raus. Kurz vor Sonnenuntergang an Tag zwei sieht auch der wunderschöne Palasttempel Bayon irgendwie nur noch aus wie ein Haufen Steine. Ich bin tempelmüde. Und auch ein bisschen reisemüde. Am nächsten Tag wird des nach Bangkok gehen und von dort nach 14 Monaten tatsächlich nach Hause. Zurück ins Rheinland.

An meinem letzten Abend in Kambodscha allerdings stolpere ich mit ein paar Mitreisenden über eine kleine Bühne im hintersten Teil des Nachtmarktes von Siem Reap, gleich neben einer Reihe von Liegestühlen, in denen müde Füße massiert werden. Und auf dieser Bühne findet die tägliche Ladyboy-Show statt - Transgender, die in bunten Kostümen Welthits performen. Gratis und mit so viel Liebe, Kunstfertigkeit und vor allem Humor, dass wir es eine geschlagene Stunde nicht schaffen, uns vom Fleck zu bewegen, und laut jubeln. "Das ist ja cooler als Angkor Wat!", sagt eine britische Mittzwanzigerin. Gut, so weit würde ich vielleicht nicht gehen. Aber die Show ist grandios und eine nette Erinnerung daran, dass das Kambodscha von heute auch rockt.