Tiger Waterfall Trek: "Herausfordernd" trifft es ganz gut

Nach 18 Stunden im Bus nach Dalat, offiziell angekommen im Süden Vietnams, bin ich heilfroh, dass ich ausnahmsweise mal ein Hostel gebucht habe und einen Anlaufpunkt habe: Die Kanadierinnen sagten, Reisebekanntschaften hätten ihnen das Dalat Family Hostel empfohlen.

Foto: Juliane Kinast

Auf die enge Gasse, die ich meinen Koffer entlangzerren muss, bin ich indes nicht vorbereitet. Und schon gar nicht auf den kollektiven Jubel von drei Vietnamesinnen, als ich die Tür öffne. Die Jüngere nimmt mich in den Arm und drückt mich: "Hallo Schwester!" Die Ältere singt frenetisch etwas mit "Hallo" und "Welcome" vor sich hin. Dann nimmt sie mich beim Arm, drückt mich auf eine Bank und beginnt, Schüsseln mit Reis, Gemüse und Reis vor mich hinzustellen. Ich habe noch nicht einmal eingecheckt. Aber ich stelle schnell fest: Auf Formalitäten wird hier nicht so viel Wert gelegt wie aufs Essen.

Foto: Juliane Kinast

Chefin in dem kleinen Hostel, dessen Gäste sich ein Matratzenlager unterm Dach teilen, ist die jüngere Vietnamesin Anni. Seine Seele indes ist Mama. Die Ältere. Sie spricht eigentlich kein Wort Englisch, was sie aber nicht davon abhält, in einer Tour zu kommunizieren. Und meistens versteht man auch so, was sie will: Dass man mehr isst. Für zwei US-Dollar kann jeder Gast am Familiendinner teilnehmen - und dafür gibt es eine mehrstündige Völlerei - unterbrochen von gemeinsamen Folkloregesängen auf das schöne Land Vietnam oder einer Karaokeeinlage von Anni. Und natürlich von Umarmungen, immer wieder Umarmungen.

Foto: Juliane Kinast

Tatsächlich ist Dalat so kalt, dass ich mir zum Dinner Socken und einen Pulli anziehe. Dass mit den Temperaturen auch ein ganz anderes Stück Vietnam einhergeht, sehe ich am nächsten Tag, als ich eine Tour in die Umgebung unternehme und dort Blumen- und Erdbeerfarmen sehe. Außerdem Kaffeeplantagen, auf denen die Bohnen an kleine Wiesel verfüttert werden, in deren Magen fermentieren und dann, wenn sie im Zuge der natürlichen Verdauung wieder ans Tageslicht kommen, einen der besten Kaffees überhaupt hervorbringen.

Foto: Juliane Kinast

Es gibt auch Farmen, auf denen Grillen gezüchtet werden - frittiert und mit Chillisauce ein beliebter Snack in Vietnam. Das wahrlich Wundersamste auf meiner Erkundungstour allerdings ist das "Crazy House", das verrückte Haus, in Dalat. Gebaut von Hang Nga, der Tochter des zweiten Präsidenten nach Ho Chi Minh, 1990 und eigentlich noch immer im Bau soll dieses Gebäude die Menschen an den Wert der unversehrten Natur erinnern - vor allem aber wirkt das Haus wie ein Vergnügungspark und erinnert optisch an die Architektur Gaudis. Nur eben viel verrückter.

Foto: Juliane Kinast

Weil ich endlich einmal nicht schwitze, wenn ich drei Schritte gehe, entschließe ich mich an meinem dritten Tag in Dalat zu einem Hike. Und weil ich nach Myanmar und den Bergen im Norden Vietnams ein bisschen Selbstvertrauen habe, wähle ich den Tiger Waterfall Trek, der im Reisebüro mit "herausfordernd" gekennzeichnet ist. Dass das nicht übertrieben war, erkenne ich rasch, als mein Führer Tong vor mir losstiefelt und es steil einen Berg hinaufgeht. Über das, was Backpacker immer "off the beaten track" (abseits eingetretener Pfade) bezeichnen und angeblich suchen, kann ich nach ein paar Stunden nur lachen - denn Pfade gibt es hier mehrheitlich gar nicht.

Foto: Juliane Kinast

Wir kämpfen uns durch Dschungel, über Kaffeeplantagen der ansässigen Kho-Minderheit, über brüchige Hängebrücken aus Draht und uralten Holzplanken. Trotz der frühlingshaften Kühle schwitze ich bald durch mein Shirt und kann es nicht glauben, als sich Tong beeindruckt zu mir umdreht und sagt: "Ich glaube, du bist das stärkste Mädchen, das ich je getroffen habe." Mein triefnasses Gesicht lächelt ihn ebenso dankbar wie ungläubig an.

Foto: Juliane Kinast

Immerhin haben wir es zum Mittagessen auf den Berg geschafft - den ersten zumindest. Dort legt Tong Gemüse, Tofu und Fleisch für Sandwiches zurecht, frisches Obst, Kekse. Dann essen wir und sprechen über alles Mögliche. Meine Familie, seine Lieben im Mekong-Delta, Pläne fürs Leben .. Es fühlt sich freundschaftlich an, vielleicht weil wir nur zu zweit unterwegs sind. Irgendwann wird Tong eine Weile still. Dann sieht er auf. "Kann ich dich mal etwas fragen?" Natürlich, sage ich ihm, was immer er wolle. Er zögert. "Was genau", fragt er schließlich und wird rot, "ist ein One-Night-Stand?" Ich muss mich sehr beherrschen, um mein Sandwich nicht in die Landschaft zu husten.

Foto: Juliane Kinast

Ich will Tong ja ernst nehmen - es ist offensichtlich, dass diese Frage ihm schon eine Weile auf der Seele lag, er sich aber nie getraut hat, sie jemandem zu stellen. Ich gebe mein Bestes bei der Erklärung - ehrlich, aber sensibel. Tong hört zu, gibt verstehende Laute von sich, sagt dann gar nichts mehr, fasziniert. "Und", fragt er dann, "macht ihr so was in Europa?" Es hilft nichts, da muss ich wohl ehrlich sein. Im kulturellen Austausch haben wir heute beide etwas gelernt. Er, dass Europäer manchmal komische Dinge tun; ich, dass Tong niemals Hund esse würde - Katze aber durchaus schon probiert hat. Und dass 18 Kilometer ganz schön lang sind, wenn sie über mehrere Bergkuppen führen.

Foto: Juliane Kinast

Aber wir kommen eine Stunde früher an unserem Ziel an als erwartet, und Tong lobt mich wieder für meine Ausdauer. Unsere Tour endet am Tiger Waterfall und ich kann einer Gruppe von Backpackern dabei zusehen, wie sie sich im reißenden Strom - immerhin herrscht Regenzeit - abseilt. Ich werde an diesem Abend einschlafen wie ein Stein. Nicht allerdings, ohne eine Extra-Decke vom unbelegten Nachbarbett zu mir herüberzuziehen. Zeit, dass es wieder in die Wärme geht. Und in die Hauptstadt. Ho Chi Minh City, oder auch Saigon, wartet auf mich. Meine Reise durch Vietnam ist fast zu Ende.