Ein Arbeitsplatz am Yarra River
Juliane Kinast, unsere reisende Redakturin gehört jetzt zur arbeitenden Bevölkerung Melbournes und findet, dass ihr Leben langweiliger hätte verlaufen können.
Melbourne. Ich gehöre jetzt unwiderruflich zur arbeitenden Bevölkerung Melbournes. Ich wasche meine weiße Arbeitsbluse, packe meine Tasche mit allem, was man für den Tag so braucht, und gehe zum Job. Klingt ziemlich durchschnittlich. Aber von meinem Arbeitsplatz schaue ich eben auf blauen Himmel und den gemächlich vorbeifließenden Yarra River.
Meine Arbeit besteht darin, leckeres Essen und gute Weine zu servieren, ab und zu Wasser nachzuschenken und mal einen Tisch abzuwischen. Vor allem aber besteht er darin, Menschen aus der ganzen Welt kennen zu lernen. Gerade gestern Abend hatte ich ein Paar aus Krefeld da - ja, so klein ist die Welt. Die beiden besuchen jedes Jahr ihren Sohn, der mal in Düsseldorf eine Saftbar betrieben hat und inzwischen mit seiner kolumbianischen Frau in St. Kilda - dem coolen Stadtteil von Melbourne - wohnt.
Außerdem mit dabei waren noch drei Mexikaner, die das Krefelder Ehepaar soeben auf einer Kreuzfahrt kennen gelernt hatte. Die mexikanische Mutter erbot sich, gerne ihr eigenes Rezept für Kroketten aus spanischem Käse und Schinken mal zuzuschicken, der weißhaarige Krefelder Herr erzählte von dem Waisenhaus in Kolumbien, das sie unterstützen.
Es war eine lustige, nette Runde. Bunt und gut gelaunt. Pizzen und Tapas, Prosecco-Jelly mit frischen Beeren und Crema Catalana verschwanden nebst einigen Flaschen Wein in gemütlichem Tempo - und am Ende umarmte mich jeder Einzelne der achtköpfigen Gruppe. Mit dem Versprechen, man sehe sich sicher noch mal im Leben. Das glaube ich sogar. Es begeistert mich, wie die Menschen und ihre Geschichten in das Restaurant und kurzzeitig in mein Leben strömen.
Der Journalist bei einer Melbourner Tageszeitung, der zwischen Recherche und Deadline noch schnell ein paar Gläser teuren Chardonnays mit zwei alten Freunden trinkt; ein junges Paar, er Australier, sie Schweizerin, die sich nur alle paar Monate sehen, sich trotzdem so nah sind und jede gemeinsame Minute genießen; die junge Frau, die allein an einem Bartisch sitzt und nach dem vierten Prosecco sagt: "Das ist eben, was man macht, wenn man sich gerade getrennt hat, nicht wahr?"; die drei Mütter, die mit ihren Teenagertöchtern extra aus Neuseeland zum Konzert der Boyband "One Direction" nach Melbourne gekommen sind und sich mit gutem Essen und Pinot Noir für ihre elterliche Toleranz belohnen.
Aber das Beste: Diese Menschen sind umgekehrt genauso begeistert. Vor einer Woche kam eine Runde Anzugträger durch die Tür. Nach nur einer Stunde hatten sie eine Rechnung von über 500 Dollar und 50 Dollar Trinkgeld hinterlassen. Und dann kam ich kurz mit einem von ihnen, Ian, ins Gespräch. Was ich sonst zu Hause so mache, was ich in Australien so gemacht hätte ... Ich berichtete kurz von meinem Leben als Journalistin in Düsseldorf, von meinem Hobby Karate, meinem Pferd, dann von meiner Reise, von meiner Zeit als Cowgirl im australischen Busch.
Ian schaute mich mit großen Augen an. Einen Moment dachte er nach und sagte dann: "Du bist wahrscheinlich der interessanteste Mensch, den ich je getroffen habe." Ich wollte gerade anfangen zu lachen und abzuwinken, als ich kurz innehielt, den Satz sacken ließ und feststellte: Eigentlich hat er Recht, es ist ganz gut gelaufen für mich bisher - ich hätte öder leben können. Lustig, dass es manchmal einen Fremden im Designeranzug braucht, damit man sich das vor Augen führt.