Ein Pott voller Geschichten
Hansestadt, Industriemoloch und Silicon Valley: Dortmund erfindet sich immer wieder neu. Eine Stippvisite.
Dortmund. Kohle, Bier und Maloche? Ach, das sind doch olle Kamellen. Die nach Köln zweitgrößte Stadt Nordrhein-Westfalens lässt sich nicht mit Klischees aus dem Industriezeitalter begreifen. Wer Dortmund mit seinen 585000Einwohnern verstehen will, muss dieser Stadt zuhören, weil sie einem nur dann ihre Seele öffnet.
Ein warmherziges Naturell hat sie, eines, das nicht kaputt zu kriegen ist: nicht durch die Pest, nicht durch Fliegerbomben, nicht durch das Zechen- und Brauereisterben, nicht einmal durch Niederlagen gegen Schalke 04.
Zugegeben: Eine Schönheit ist sie nicht, aber lassen Sie sich nicht durch ihre Fassade ins Boxhorn jagen, lassen Sie sich stattdessen mitreißen von den Geschichten dieser nur an ihrer Oberfläche spröden Stadt.
Es sind Erzählungen aus dem Mittelalter, von Kaufleuten des Hansebundes, die am Westenhellweg ein Wirtschaftswunder entfachten. Erzählungen von Menschen, die vor 100 Jahren auf der Suche nach Jobs aus vielen Ecken Europas in die Mega-Stadt an der Ruhr strömten. Erzählungen von Forschern, die den Uni-Campus zum Silicon Valley ausbauten.
Beginnen wir unsere Besichtigung am höchsten Punkt der Stadt. Windig ist es hier, auf der Aussichtsplattform des Fernsehturms "Florian" in 180 Metern Höhe. Sehen Sie, unter Ihnen ist der Westfalenpark, eröffnet vor 50Jahren zur Bundesgartenschau. Mein Tipp: Beim Lichterfest am 15. August gibt es hier ein spektakuläres Feuerwerk.
Nun wandert unser Blick nach Südosten, ja hinter dem Park sehen Sie... nun ja, ein Loch, zehn Mal so groß wie die Düsseldorfer Altstadt, in dem dutzende gelbe Ameisen krabbeln. Hier, blicken Sie durchs Fernrohr, es handelt sich um Bagger mit großen Schaufeln. Ja, ja, das Leben ist eine Baustelle. Denken Sie nicht, ich will Sie verhohnepiepeln. Diese wüste Landschaft zeigt, dass die Stadt sich gerade einmal wieder neu erfindet.
Sie müssen wissen: Als der Pott noch kochte, stand hier das Stahlwerk Phoenix, das eine verbotene Stadt war - mit eigenem Schienennetz und Straßensystem, ein Dinosaurier des Industriezeitalters, dessen feuriger Atem die Wolken der Nacht glutrot färbte.
Dann haben die Chinesen vor ein paar Jahren das Monstrum Schraube für Schraube abmontiert und als größten Mobilbaukasten aller Zeiten im Reich der Mitte wieder zusammengesetzt. Geblieben sind die beiden Hochöfen Phoenix-West als Zeitzeugen einer untergegangenen Epoche. Geblieben ist vor allem aber eine Brache, die zum Super-Loch ausgebuddelt wird, damit im nächsten Jahr das Wasser kommen kann. Der mehr als ein Kilometer lange Phoenix-See wird dann größer sein als die Hamburger Binnenalster. Mit Technologiepark, Jachthafen, Uferpromenade und Villen mit Seeblick.
Die City? Die lässt sich besser aus der Nähe erkunden, kommen Sie, wir fahren hin...
Viel Rummel hier auf dem Westenhellweg, eine der großen Fußgängermeilen Deutschlands. Wir könnten die St.Marienkirche mit ihrer mittelalterlichen Sakralkunst bestaunen. Wir könnten im Museum für Kunst und Kulturgeschichte erfahren, was die Römer an der Emscher trieben. Aber lassen wir uns einfach auf der Flaniermeile Kleppingstraße in einem Café nieder. Dolce Vita im Pott; das Leben ist schön. Dann schlendern wir zum "Pfefferkorn", wo es den besten Pfefferpotthas gibt. Und zu diesem Dortmunder Rindfleisch-Topf genehmigen wir uns ein Pilsken. Lecker, woll?
Ich sagte doch: Es gibt heute keine Zechen mehr. Obwohl... es gibt doch noch eine, die Zeche Zollern ganz im Westen von Dortmund. Ober, zahlen!
Hier sehen Sie ein Juwel der Industriearchitektur. Vollkommen richtig, die Backsteinfassaden und Giebel mit Zinnenkranz und Ecktürmchen erinnern an einen Adelssitz, aber es geht nicht nur um Schönheit in diesem Schloss der Arbeit. Das Bergbau-Museum zeigt auch, wie das war, als die Kumpel das schwarze Gold aus der Tiefe holten.
Interessieren Sie sich für Fußball? Dann fahren wir zum Borsigplatz in der Nordstadt, wo das Herz der Borussia schlägt. Und dann lassen wir uns am Tresen von Oppa Jupp erzählen, wie das 1966 war, als der BVB im Europapokal-Finale den FC Liverpool geschrubbt hat. Autokorso? Ey hömma, bisse bekloppt oder willse mich verkohlen? So’n Kokolores haben die nich’ gemacht. Nee, die Dortmunder haben den Platz einfach schwarz-gelb angepinselt.