Jähes Ende eines Traumes

Deutschland verliert gegen Japan mit 0:1 — und muss nun beweisen, das es als Team daran wächst.

Wolfsburg. Das Stadion war noch voll, aber die Köpfe leer. „Surreal“, befand Nadine Angerer. Surreal, alles was nach 23.14 Uhr in Wolfsburg passierte. 26 067 Fans waren mit dem Schlusspfiff beängstigend still. Die eingespielte Musik wirkte nur wie ein dumpfes Geräusch außerhalb eines dunklen Tunnels. Die ganze WM-Maschinerie stoppte in diesem Moment. Wie ein Zug an der Endstation. Bitte aussteigen.

Und die deutschen Spielerinnen blieben auf dem Rasen, als warteten sie auf den nächsten Zug. Den ins WM-Halbfinale. „Ich kann es nicht fassen. Es ist alles aus und vorbei“, sagte Linda Bresonik und Silvia Neid, die Bundestrainerin, offenbarte mit einem privaten Einblick, dass wirklich niemand ernsthaft mit diesem größten anzunehmenden deutschen Fußball-Unfall im Sommer 2011 gerechnet hatte. „Ich werde irgendwie noch gar nicht erwartet zu Hause.“

0:1 gegen Japan nach Verlängerung, das Aus im Viertelfinale bei der Heim-WM, die ein Triumphzug des zweifachen Weltmeisters werden sollte, es sportlich aber nie war. Das Tor der Japanerin Karina Maruyama in der 108. Minute war das vielleicht konsequente Ende eines deutschen Turnier-Fußballs, der seltsam gehemmt wirkte, dem alle Leichtigkeit abging. Und der weitgehend führungslos vonstatten ging.

Als es um alles ging, saßen erfahrene Kräfte mit Führungsqualität wie Prinz, Bresonik und auch Grings auf der Bank. Und auf dem Rasen rang die junge Okoyino da Mbabi um Struktur und den besonderen Moment, der aus diesem überspielten Körper nicht mehr herauszuholen war.

Unter normalen Umständen hatte Deutschland Japan immer besiegt. Aber jetzt war offensichtlich, dass der Druck dieser WM zu groß und die Fortschritte der Konkurrenz zu überraschend für dieses deutsche Team gekommen waren, um die Serie von 15 WM-Spielen in Folge ohne Niederlage auszubauen.

Ein Team, das sich drei Monate auf das Turnier mit nationalem Auftrag vorbereitet hatte und dessen Ergebnis wie Hohn wirkt. Vier Spiele, drei enttäuschende, ein gutes. Das ist eine bittere Bilanz für Neid, die es nie geschafft hat, ihre demonstrative Gelassenheit auf die Spielerinnen zu übertragen. „Ich mache mir jetzt eigentlich gar keinen Vorwurf“, sagte die Bundestraierin nach dem Spiel leicht gereizt. Und wenn sie das nach eingehender Analyse doch täte, dann ließe sie das wissen.

Einen „großen Umbruch“ werde es nicht geben. „Wir haben ein junges Team“, sagte Neid. Das allerdings mit dem WM-Aus auch die Teilnahme an Olympia 2012 verspielt hat. Die beiden Uefa-Plätze sind für die zwei besten europäischen Team bei dieser WM reserviert — und das sind die Halbfinalisten Frankreich und Schweden.

Im September geht es weiter mit einem Länderspiel gegen die Schweiz. EM-Qualifikation. „Uns kann doch gar nichts besseres passieren als diese Trainerin“, sagte DFB-Präsident Theo Zwanziger. Er schritt den Rasen als tröstender Onkel ab, jede Spielerin wurde umarmt, fast jede geküsst. Begegnet sind dem DFB-Chef viele Tränen, trotzdem suchte Zwanziger das Positive an der Niederlage, was ein echtes Kunststück war. „Die Weltspitze ist enger zusammengerückt, das kann doch nur gut für den Frauenfußball sein.“

Die Weltspitze wird eine letzte WM-Woche ohne den Gastgeber enger zusammen rücken. 17 Millionen schauten gegen Japan im ZDF zu, eine Quote, die der Frauenfußball so schnell nicht wieder erleben wird. Es gelte, sagte Zwanziger, zu untersuchen, woher diese Zuschauer kommen.

Der Präsident will einen noch neuen Markt weiter ausbauen. Es muss etwas bleiben von dieser WM, die teuer war, schlimm endete, die medial hochgejazzt, in der Bevölkerung sehr interessiert, aber längst nicht euphorisch aufgenommen wurde.

Und jetzt, wo fast alles vorbei war, half ausgerechnet der überraschende Halbfinalist Japan, die Dinge wieder einzuordnen. „An unsere Freunde auf der ganzen Welt. Danke für die Unterstützung“, stand auf dem Plakat, das die Spielerinnen durchs Stadion trugen.

Es ging um den Tsunami, um das Erdbeben, um Fukushima. Es ging um menschliche Solidarität. Der Fußball war Bühne für etwas Größeres. Man hatte ja fast vergessen, dass es etwas Größeres als den Fußball überhaupt noch geben kann. Und das war allemal surreal.