IOC-Vizepräsident Thomas Bach: „London wird auf alle wirken“

Thomas Bach über deutsche Chancen in London, lebenslange Dopingsperren und den starken internationalen Konkurrenzdruck.

Düsseldorf. Wenn in einer Woche die Olympischen Spiele in London (27. Juli bis 12. August) eröffnet werden, wird olympische Geschichte geschrieben. Erstmals werden Frauen aller teilnehmenden Nationen vertreten sein.

Die Nominierungen sind das Ergebnis intensiver Verhandlungen zwischen dem Internationalen Olympischen Komitee (IOC) und dem saudi-arabischen Olympia-Komitee. Thomas Bach, der Vizepräsident des IOC, über Sicherheit, Erfolgsdruck und die Werte, die durch Olympia vermittelt werden.

Herr Bach, steht die deutsche Mannschaft in London unter Erfolgsdruck?

Thomas Bach: Die Athleten sind selbst sehr motiviert. Und aus meiner eigenen Athleten-Erfahrung weiß ich, dass sie keinen Druck mehr gebrauchen können. Den größten Druck machen sie sich ohnehin selbst. Da braucht es keine ungebetenen Ratschläge von außen.

Haben Sie Erwartungen, was die Anzahl der Medaillen angeht?

Bach: Nein, jedenfalls nicht, die Sie jetzt gerne hören würden. Der Maßstab ist der fünfte Platz von Peking 2008. London wird der härteste Kampf, den es jemals gegeben hat.

Warum?

Bach: Weil die starken Nationen noch mehr investiert haben als zuvor. China, die USA, Russland, Australien, aber auch Korea und Japan wenden für uns unvorstellbare Summen für die Sportförderung auf.

Ist in London die Grenze der Sicherheitsvorkehrungen erreicht?

Bach: Veranstaltungen dieser Größenordnung haben leider ihren Sicherheitsbedarf. Dem können Sie nicht ausweichen.

Hausbesitzer wehren sich gegen Abwehrraketen auf ihren Häusern.

Bach: Dass man da als Betroffener nicht der Glücklichste auf der Welt ist, kann ich verstehen.

Was wird sportlich anders als in Peking?

Bach: Es wird eine Aufwärtsentwicklung deutlich. Nehmen Sie die Leichtathletik, wir haben nun eine deutlich größere Chance auf mehr als nur eine Bronze-Medaille. Die Ruderer waren bei den Weltmeisterschaften und im Weltcup stark verbessert, nicht nur im Achter. Und auch die Kanuten haben ein extrem hohes Niveau.

Das olympische Motto lautet „Wir für Deutschland“. Welchen Stellenwert hat Olympia in der Wertediskussion?

Bach: Das ist gar nicht hoch genug einzuschätzen. Nach einer Studie sagen 78 Prozent der Deutschen, die Stimmung im Land wird durch Olympia besser. Nach einer anderen Studie identifizieren sich 90 Prozent der Deutschen mit ihren Sportlern.

Wie ist unter diesem Aspekt die Sportförderung zu beurteilen?

Bach: Wir leben nicht im luftleeren Raum. Wir wissen, dass die Mittel im Bundeshaushalt knapp sind.

Es gibt 15 000 Euro für eine Goldmedaille. Ist das nicht zu wenig?

Bach: Unser System ist nicht darauf ausgerichtet, im Erfolgsfall eine lebenslange Versorgung zu garantieren. Uns kommt es darauf an, nach der sportlichen Karriere die berufliche Chance zu sichern. Wer mit dem Leistungssport anfängt und dabei nur darauf setzt, am Ende der Karriere finanziell abgesichert zu sein, dem empfehle ich den Gang zur Lotto-Annahmestelle.

Haben Sie sich gefreut, dass Saudi Arabien nun doch zwei Frauen zu den Olympischen Spielen schickt?

Bach: Glückwunsch an Jacques Rogge, der über Jahre hinweg darauf hingewirkt hat. Man muss aber auch politische, kulturelle und religiöse Gegebenheiten berücksichtigen. Das IOC kann nicht als Weltregierung auftreten und einem Staat sagen, wie er zu reagieren hat. Fakt ist, dass es nun zwei Athletinnen aus Saudi Arabien bei den Spielen geben wird. Das wird seine Wirkung auch auf die arabische Welt nicht verfehlen. London wird auf alle wirken.

Warum werden Doper nicht lebenslang gesperrt?

Bach: Ich habe diese Forderung früher vertreten. Wie Sebastian Coe. Aber für eine Durchsetzung einer solchen Forderung gibt es keine juristischen Möglichkeiten. Da hat sich meine Meinung seit 1981 geändert. Jeder hat die zweite Chance verdient.

Hat der deutsche Sport den Image-Schaden der gescheiterten Münchener Bewerbung um die Winterspiele 2018 eigentlich verkraftet?

Bach: Ich kann keinen Image-Schaden erkennen. Unsere Bewerbung erfolgte schlichtweg zum falschen Zeitpunkt. Wir müssen uns angesichts der Verweigerungshaltung in Deutschland fragen, ob wir überhaupt noch in der Lage sind, ein ambitioniertes Großprojekt wie Olympia auf die Beine zu stellen.