50 Jahre Bundesliga: Glückauf, ihr Schalker!

Am 24. August vor 50 Jahren: Wie ein Zehnjähriger zum ersten Mal die große Fußballwelt beschnupperte.

Gelsenkirchen. So ein Glück: Fritz musste ins Krankenhaus. Nichts Ernstes, aber jedenfalls konnte er nicht mit seinen Kumpels zum Fußball fahren. „Dann nemm doch dä Jung met op minge Kaat.“ So klang schönstes bergisches Platt in meinen Ohren — denn „dä Jung“, das war ich. Und „die Kaat“, das war ein Ticket für ein Heimspiel von Schalke 04, dem Fußballclub, für den mein kleines Sportlerherz schlug. Damals schon, 1963.

Fritz, Heinz, Werner, Hans, mein Vater Kurt — sie waren die „Fünf Freunde“ in meiner Kindheit. So war die Welt der Adenauer-Ära: fünfeinhalb Tage Maloche, der Sonntag für die Familie, der Samstagnachmittag für den Fußball.

„Blau und Weiß, wie lieb’ ich dich“: Immer wieder dudelte die kleine Schallplatte mit dem Schalke-Lied in unserer scheppernden Phonotruhe, stundenlang. Kieksig, aber voller Inbrunst und sehr laut, sang ich mit. Meine Mutter verdrehte nur die Augen und floh in die Küche. Schalke 04 gegen VfB Stuttgart in der Glückauf-Kampfbahn

Dann kam mein Papa von der Arbeit. „Da ist sie“, sagte er nur und drückte mir einen Papierschein in die Hand: „Samstag, 24. August, Glückauf-Kampfbahn, Schalke 04 gegen VfB Stuttgart, Anstoß 17 Uhr.“ Sämtliche Glücksgefühle, die einen Zehnjährigen übermannen können, durchströmten mein Herz. Der allererste Bundesliga-Spieltag — und ich durfte dabei sein!

Zum ersten Mal würde ich mir den Duft der großen Welt in der legendären Kampfbahn um die Nase wehen lassen. Wo vor Jahrzehnten die alten Idole den Schalker Kreisel drehten und sieben Deutsche Meistertitel eroberten.

Samstag, 13 Uhr, Abfahrt. „So früh?“, hatte ich noch naiv gefragt. Ich war zu unerfahren, um zu erahnen, dass jeder Höhepunkt — auch ein sportlicher — ein Vorspiel hat. Zum Beispiel war erst einmal das Schnäpsken bei Opa Pflicht. Er drückte zu Hause bei der Radiokonferenz mit Kurt Brumme die Daumen.

Endlich: Vier Große mit Hut und ein Kleiner in Lederhose starteten in einem blauen Opel-Rekord von Velbert über Essen-Kupferdreh Richtung Gelsenkirchen. Die „Schalker Freunde“ wussten genau, wo sie einen günstigen Parkplatz finden, zwischen Stadion, Zechentürmen und Backsteinsiedlungen.

Erste Station: die verrauchte Kneipe von Werner Kretschmann, dem früheren Verteidiger, am Schalker Markt. Die Luft war zum Schneiden. Hundert Männer und ein Zapfhahn. Koteletts in Papierservietten wurden über den Köpfen der Fans durchgereicht. „Stahl und Eisen“, eine seltsame Mischung aus Boonekamp und klarem Schnaps, machte Mut fürs Match. Ich nippte an gelber Limo, staunte und staunte.

In der Ecke, neben der Klo-Tür, stand der erste Flipper-Automat meines Lebens. Das Klack-Klack-Klack der Kugel gab den Takt an im Gejohle der schwitzenden Menschen. „Blau und Weiß“ dröhnte vom Plattenteller. Ich war völlig fasziniert von der Atmosphäre der Großen und dachte: „So also sieht ein Vorspiel aus!“

Zweite Station: der Lotto- und Tabakladen von Ernst Kuzorra, dem Denkmal der erfolgreichsten Schalker Zeit. Er stand hinter der Theke, höchstpersönlich, strich mir übers Haar und sagte mit der rauen Stimme eines alten Kämpen: „Die putzen wir heute, nicht?“ Ich nickte nur und machte Stielaugen. Papa kaufte eine Runde Zigarren, und ich bekam ein Foto vom alten Idol. Mit Widmung: „Für meinen Freund Rolf.“ Noch heute ist sie ein kleiner Schatz.

„Uuuuuund hier gibt’s die Stadionzeitung. Der Kreisel, der Kreisel! Kauft den Schalker Kreisel! Die Aufstellung, letzte Nachrichten!“ Noch ein paar Minuten Fußweg, dann drängten wir mit 34 000 Besuchern durch die Tore des Fußball-Tempels. Noch fünf schnelle „Würstkes mit Senf“ — und ab ging’s auf die Holztribüne.

17 Uhr, Anpfiff. Die Bundesliga-Geschichte nahm ihren Lauf. Schalke machte Dampf. Ich rief „Foul“ und „Buh“ und „Schiedsrichter, Telefon“ und fühlte mich einfach großartig. Mein Liebling im Schalker Team war der „Schwatte“ Koslowski im Mittelfeld. Der ackerte und rackerte, der kriegte dauernd eins auf die Knochen und kämpfte trotzdem weiter.

Auch Manni Kreuz mochte ich, den Mann mit dem unglaublichen linken Bums. Und da war der Neue im Sturm: Reinhard Libuda, 19 Jahre, Flügelflitzer. Irre, wie das schmächtige Kerlchen seine Haken schlug und die Stuttgarter Abwehr durcheinanderwirbelte. Später nannten ihn alle nur „Stan“ — nach Stanley Matthews, dem Dribblerkönig aus England.

„Zum Schießen“ fand ich den Stuttgarter Torwart Sawitzki mit dicken Knieschonern und Schlägermütze. Ein Abwehrspieler der Schwaben hieß Entenmann. „Haha, so watschelt der auch rum“, sagte ich laut und bekam anerkennende Lacher aus der Erwachsenenwelt.

Stuttgart wurde stärker. Willi Schulz, der harte Schalker Mittelläufer, geriet im Dauerregen ins Schwimmen. Bei einem Zweikampf verlor er sogar einen Schuh. Weil das Spiel nicht unterbrochen war, spielte und kämpfte er einfach weiter mit dem Schlappen in der Hand. Vier, fünf Minuten lang. War das stark!

Dann der Schalker Doppelschlag zehn Minuten vor der Pause: Koslowski ballerte das Leder ins Netz. Hermann und Gerhardt besorgten im Duett locker-leicht das 2:0. Dabei blieb es bis zum Abpfiff.

Noch oft habe ich später den FC Schalke 04 angefeuert, habe im zugigen Parkstadion gefroren und in der Arena Ohrensausen bei dem tosenden Lärm bekommen. Mein Sportlerherz schlägt weiter für Blau und Weiß, bis heute. Aber nie mehr war es so schön, so intensiv, so unschuldig, so faszinierend wie damals beim Bundesliga-Auftakt.

Mein Wunsch für die neue Saison? Klar: Einmal den Bayern die Lederhosen ausziehen, Deutscher Meister werden, zum ersten Mal in der Bundesliga. Doch wie’s auch immer kommt, eines bleibt gewiss: einmal Schalker, immer Schalker.

Glückauf!