Bundesliga Bayer Leverkusen - Florian Wirtz: Ein Trainingslager als Paradies
Zell am See · Erstmals nach seinem Kreuzbandriss weilt das Mittelfeld-Juwel wieder im Kreise der Mitspieler. Doch noch muss er auch in Zell am See individuell arbeiten.
Im Salzburger Land macht inzwischen ein Witz fast überall die Runde. Die beste Idee des Tourismusverbandes sei es gewesen, grüne Berge und klare Seen als das Paradies in den Koran zu schreiben. Freilich gab es das so beschriebene Paradies im Koran schon weit vor dem Tourismusverband des Salzburger Landes, der Effekt aber ist derselbe. Sommer für Sommer reisen etliche Araber in ihr Paradies. Besonders Zell am See profitiert von den prall gefüllten Geldbeuteln der Urlaubsgäste aus dem nahen Osten.
Bei denen gelten die im Hotel "Tauern Spa" für ein Einzelzimmer mit Frühstück und Abendessen pro Tag zu entrichtenden 390 Euro eher noch als Schnäppchen. Doch auch die vom 14. bis zum 22. Juli in diesem Vier-Sterne-Domizil logierende, gut situierte Reisegruppe aus Nordrhein-Westfalen peppt den Werbewert der Region inzwischen gewaltig auf. Seit nun bereits zehn Jahren bezieht der TSV Bayer 04 Leverkusen das Quartier für sein Sommer-Trainingslager in der zwischen Zell am See und Kaprun gelegenen Wellness-Therme. Und zumindest für einen aus dem in diesem Jahr 31 Spieler umfassenden Tross sind die neun Tage im Schatten des mächtigen Kitzsteinhorns wie eine Reise ins Paradies. Erstmals nach ziemlich exakt vier Monaten darf sich Florian Wirtz wieder im Kreise seiner Mannschaftskameraden tummeln.
Am 13. März zog sich der offensive Mittelfeldspieler beim 0:1 gegen den 1. FC Köln einen Kreuzbandriss zu, nach der Operation sowie einem Reha-Aufenthalt in einer Klinik in Innsbruck schuftete Wirtz wochenlang alleine an seinem Comeback. Bis zu diesem wird es wohl noch mindestens zwei Monate dauern, dennoch durfte der 19-Jährige mit ins Trainingslager der "Werkself" fahren. „Die Operation ist zwar unkompliziert verlaufen und ich bin auch dank der Unterstützung von Familie, Freunden sowie der Ärzte gut wieder reingekommen. Aber es ist schon besser mitzubekommen, was hier passiert anstatt in einem Raum in Leverkusen immer die gleichen Übungen zu machen. Das nervt mit der Zeit, von daher genieße ich die Woche hier in den Bergen mit und neben dem Team", sagte Wirtz in einer Gesprächsrunde im Hotel.
Die WM soll nicht zu einer Übermotivation führen
Während der Tapetenwechsel für Wirtz aus mentalen Gründen wichtig ist, hält ihn Innenverteidiger Jonathan Tah ganz generell für sinnvoll. „Es ist gut, für einen gewissen Zeitraum die heimische Komfortzone mal zu verlassen. Weg von der Familie lässt sich noch ein Stück konzentrierter arbeiten und als Gruppe zusammenwachsen", erklärte der 26-Jährige. Tah und 28 weitere Profis geraten bei Temperaturen von über 30 Grad in den Einheiten auf dem sattgrünen Rasenteppich des kleinen Alois-Latini-Stadions am Südufer des Zeller Sees mächtig ins Schwitzen, während Florian Wirtz und der nach einem Sehnenriss im Oberschenkel gleichfalls noch im Aufbautraining befindliche Flügelstürmer Amine Adli im hinter einem der beiden Tore aufgebauten Zelt an den Fitnessgeräten arbeiten.
„Das Knie macht sich. Natürlich gibt es ab und zu mal einen kleinen Rückschlag, wenn nach einer stärkeren Belastung eine Reaktion auftritt. Aber insgesamt habe ich keine Beschwerden", meinte Wirtz. Aus diesem Grund durfte er sogar erste Übungen mit dem Ball absolvieren, dennoch überwacht Reha-Chef Carsten Rademacher sehr penibel alle relevanten Werte. Eine falsche Bewegung und die Arbeit von Wochen ist umsonst gewesen. Für Wirtz werden die nun folgenden zwei Monate deshalb schwerer als die zurückliegenden vier. Das Mittelfeld-Talent will wieder ins Mannschaftstraining, muss seinen Tatendrang allerdings bremsen. „Ich dränge mich natürlich auf, aber das Knie entscheidet über den Zeitpunkt meiner Rückkehr."
Auch Hansi Flick hat den Youngster aus Pulheim nicht aus den Augen verloren. „Der Bundestrainer war einer der ersten, die mich nach der Verletzung angerufen haben. Er hat meine Verletzung bedauert und sorgt sich auch weiterhin um mich. Im Juni gab es sogar eine Einladung zum Länderspiel gegen Italien in Mönchengladbach, der Kontakt mit ihm ist wirklich sehr gut", informierte Wirtz in Kaprun. Eine Übermotivation ob der im November beginnenden Weltmeisterschaft wird es deshalb allerdings nicht geben. „Ich bin jung und habe hoffentlich noch einige Turniere vor mir", sagte Wirtz. Eine Reise nach Arabien würde für ihn trotz des dort fehlenden Paradieses aber natürlich dennoch paradiesisch sein.