„Werkself“ mit Problemen Meister Leverkusen hat das Siegen verlernt
Analyse | Leverkusen · Die „Werkself“ bekommt ihre Spiele trotz Führungen nicht zu. Vorne wie hinten fehlt dafür aktuell die Gier. Eine Analyse.
Dass es für Bayer 04 Leverkusen nach der historischen Double-Saison nur schlechter werden konnte, lag auf der Hand. Und natürlich wurde von der Vereinsführung als Ziel auch nicht die Titelverteidigung ausgerufen. Mindestens Platz vier soll es sein, also die Qualifikation für die Champions League. Von daher sind die nach dem 1:1 (1:0) beim VfL Bochum nun schon neun Punkte Rückstand auf Tabellenführer FC Bayern München weniger das, was Trainer Xabi Alonso beunruhigt. „Die Tabelle ist aktuell nicht meine große Sorge. Vielmehr ist in meinem Kopf, wie ich die Mannschaft verbessern kann. Sie muss wieder verinnerlichen, was in den letzten Minuten eines Spiels zu tun ist.“
Schon beim 2:2 in Bremen hatte die „Werkself“ den späten Ausgleich kassiert, nun sogar beim Schlusslicht. Dabei war es in der vergangenen Saison noch die große Stärke der Leverkusener gewesen, mit Treffern in der Schlussphase Spiele für sich zu entscheiden. Dass dies nicht ständig funktionieren würde, war klar. Warum aber schafft es das Meister-Team plötzlich nicht mehr, bereits herausgespielte Führungen über die Ziellinie zu bringen? In der Hälfte der bisher zehn Bundesliga-Partien wurden so wertvolle Zähler verschludert, auch in der Champions League holten die Farbenstädter beim 1:1 gegen Stade Brest in Guingamp einen zuvor dominierten Gegner zurück ins Spiel.
„Das zeichnet auf jeden Fall keine Spitzenmannschaft aus. Wir lassen die Gegner immer wieder leben und die machen dann aus einer halben Chance einen Treffer“, sagte Torhüter Lukas Hradecky und wirkte bei seinen Worten sichtlich angefressen. Auch in Trainer Alonso brodelte es: „Wir konnten wieder ein Spiel nicht schließen, das ärgert mich sehr.“ Dass dadurch gegen starke Leipziger nach 35 unbesiegten Bundesliga-Spielen mit 2:3 mal wieder verloren wurde, ist ebenso zu verschmerzen wie das 1:1 bei den Bayern. Die Unentschieden gegen Kiel, in Bremen und nun in Bochum aber kosteten unnötig sechs Punkte. Mit diesen wäre die Tabellenspitze nur drei Zähler entfernt.
Von den mit Super-Cup eingerechnet, dessen Elfmeterschießen aber ausgeklammert, jetzt 17 Pflichtspielen hat Leverkusen nur zwei verloren. Neben Leipzig gab es noch das auch erst zum Ende hin deutliche 0:4 beim die Premier League dominierenden FC Liverpool. Die „Werkself“ ist also weiterhin nur schwer zu besiegen, sie gewinnt aber eben auch deutlich seltener. Zieht man die beiden Pokal-Partien bei Regionalligist FC Carl Zeiss Jena und gegen Zweitligist SV Elversberg ab, sind es in 13 Spielen nur sechs Siege und satte sieben Unentschieden. In den jüngsten neun Begegnungen konnte der Platz gar nur zweimal als Gewinner verlassen werden.
Natürlich liegt die Messlatte ob der vergangenen Saison hoch, dennoch muss die Frage nach dem möglicherweise fehlenden Feuer erlaubt sein. Schon vor der Saison hatte Alonso gewarnt, dass die Spieler Meisterschaft und Pokalsieg aus den Köpfen bekommen müssen. Dennoch scheint die Gier verloren gegangen und das vorne wie hinten. Im Angriff wird nicht mit Macht auf die Entscheidung gedrängt, in der Abwehr nicht mit Biss das eigene Terrain verteidigt. Besonders letzteren Aspekt belegen Zahlen. Gab es vergangene Saison in der Bundesliga insgesamt lediglich 24 Gegentreffer, so sind es schon jetzt deren 16. Gleich acht Teams haben aktuell weniger kassiert.
„Wir machen es eigentlich gut. Aber wenn du dann zum Gegenspieler plötzlich drei Meter Abstand hältst, dann wird es schwierig. Wir bekommen zu einfache Gegentreffer, es geht um die letzte Galligkeit im eigenen Strafraum. Der ist unser Zuhause. Da darf niemand rein. Momentan jedoch kommen da zu viele rein“, knurrte Granit Xhaka und auch Robert Andrich meinte: „Man sollte uns nicht generell die Mentalität absprechen. Allerdings darf man uns derzeit absprechen, den Willen zu haben, zu null zu spielen.“ Alonso nimmt jedoch auch die Offensive in die Pflicht. „Sie schafft es nicht, die Spiele zu schließen. Solange wir nur ein Tor Vorsprung haben, kann immer etwas passieren.“
Der Spannungsabfall ist unübersehbar, doch es gibt darüber hinaus Gründe für die in der öffentlichen Wahrnehmung wieder auf Normalmaß geschrumpfte „Werkself“. Zum einen wirken die nahezu unverzichtbaren Xhaka und Alejandro Grimaldo durch ihren langen Turnierverbleib bei der EM überspielt. Grimaldos Flanken und Freistöße sind längst nicht mehr so gefährlich, Xhaka gewährt im Zentrum öfter mal mehr Raum als von ihm gewohnt. Zum anderen lässt Alonso auf Grund der in der Champions League höheren Qualität der Gegner nicht mehr so viel rotieren wie er dies vergangene Saison in der Europa League tat. Folglich hat die Belastung der Stammspieler zugenommen.
Dies sollte eigentlich durch Aleix Garcia und Martin Terrier aufgefangen werden, doch die beiden Zugänge aus Spanien und Frankreich fremdeln mit der neuen Umgebung noch. Für Garcia hat Alonso überdies noch keine ideale Position gefunden, doch der Baske tüftelt natürlich daran. So wie er mit einem neuen System zurück zur gewohnten Stabilität finden könnte. Beim nur vom Ergebnis her enttäuschenden 0:0 gegen Stuttgart hatte er mit Nordi Mukiele, Jonathan Tah, Edmond Tasoba und Piero Hincapie eine von vier Innenverteidigern gebildete Kette aufgestellt und mit dieser für ihn ungewohnten Aufstellung klar erkennbar große Kompaktheit erreicht.
Mukieles gegen Stuttgart im Spielverlauf zugezogener Muskelfaserriss legte dieses gelungene Experiment für die Spiele in Liverpool und Bochum dann auf Eis, als Option sollte es nach der Genesung des Franzosen allerdings mehr als nur in Betracht gezogen werden. Mukiele und Hincapie sind zweikampfstarke Außenverteidiger, Tapsoba ist links innen besser aufgehoben als auf der rechten Seite einer Dreier-Abwehr und Jonathan Tah müsste nicht mehr so weite Wege machen. Alonso wird sich diesbezüglich Gedanken machen, schließlich gibt sein Kader mehr her als Unentschieden. „Es ist nicht möglich, immer zu gewinnen. Aber wir wollen schon etwas mehr als im Moment.“