Herrlich entlassen Warum Leverkusen jetzt auf Bosz zählt
Leverkusen · Die jüngsten Siege haben Leverkusens Trainer Heiko Herrlich nichts mehr genützt. Nun soll der Ex-Dortmunder Peter Bosz wieder für begeisternden Fußball sorgen - eine Analyse.
Sport-Geschäftsführer Rudi Völler stand am Samstagabend wenige Stunden nach dem 3:1-Sieg gegen Hertha BSC vor der Tür von Heiko Herrlichs Privathaus. Jetzt war klar: Es war vollkommen egal, wie der Trainer Herrlich mit der Erstliga-Elf von Bayer Leverkusen die letzten Spiele vor Weihnachten gestaltete, auch die optimale Ausbeute von drei Siegen half ihm nicht mehr: Völler und der neue Sportdirektor Simon Rolfes hatten längst Einigung mit Herrlichs Nachfolger getroffen: Der Niederländer Peter Bosz wird der neue Trainer unter dem Bayer-Kreuz, zuletzt in der vergangenen Saison bei Borussia Dortmund nach einem halben Jahr entlassen – und seither arbeitslos. Dass Kontakte zu Bosz bestanden, mit dem man schon vor dem Engagement Herrlichs geliebäugelt hatte, ehe der BVB seinerzeit zuschlug, ist seit vielen Tagen bekannt gewesen.
Völler: Stagnation des Teams ist nicht mehr zu leugnen
„Ich habe ihm alles erklärt. Wir haben ihn lange gestützt. Die Entwicklung war aber nicht so, wie wir uns das vorgestellt haben“, begründete Sport-Geschäftsführer Völler die Entscheidung gegen Herrlich. Völler verwies auf die Stagnation in der Entwicklung des Teams, die leider „nicht mehr zu leugnen“ sei. Und er erklärte angesichts der guten jüngsten Ergebnisse, dass man sich in Leverkusen traditionell freimache von aktuellen Entwicklungen. Unter dem Bayer-Kreuz galt noch immer: Es wird der große Bogen analysiert. Auch wenn den Verantwortlichen des Clubs über die Jahre alte Souveränität längst abhanden gekommen zu sein scheint.
Wenn man Herrlich gut gesinnt ist, klingt die Bilanz gar nicht so schlecht: Er blieb in 16 von 21 Spielen in dieser Spielzeit unbesiegt, hat nur drei Punkte Rückstand auf die Europa-League-Plätze in der Liga, steht noch im DFB-Pokal nach einem famosen Sieg in Mönchengladbach und hat die Europa-League-Vorrunde als Tabellenerster abgeschlossen. Aber der Blick geht auch anders: Konstant hat die junge Leverkusener Elf fast nie gespielt, zudem gestaltete sich das Ganze nicht so attraktiv, wie man das gerade in Leverkusen gerne hätte. „Wir sind nicht immer an unsere Leistungsgrenze gekommen“, sagte noch am Samstag Mittelfeldspieler Kai Havertz bezeichnenderweise.
Hertha BSC im Freundschaftsspiel-Modus
Gegen Hertha BSC war dies zwei Tage vor Heilig Abend allerdings auch nicht nötig. Laut ihrem Trainer Pal Dardai hatten die Gäste im Freundschaftsspiel-Modus agiert und Weihnachtsgeschenke mitgebracht. Bei Vollands 1:0 (6.) bildeten Plattenhardt und Torunarigha freundlichen Begleitschutz, beim 2:0 von Havertz (23.) trat Torhüter Jarstein am Ball vorbei. Schließlich fand Aranguiz für seinen Pass vor dem 3:1 von Havertz (49.) derart viel freien Raum im Mittelfeldzentrum vor, dass dort ein Kreuzfahrtschiff bequem hätte wenden können.
Die Spieler wussten am Samstag möglicherweise schon Bescheid, was da kommen sollte. „Der Trainer hat alles gegeben. Ob sich die Verantwortlichen jetzt zusammensetzen, ist mir wurscht“, sagte Angreifer Julian Brandt. Der neue Sportdirektor Simon Rolfes hatte schon vor Tagen angedeutet, was kommen könnte: „Unser Anspruch ist ein anderer als Platz zehn. Viele Spieler haben deutlich mehr Potenzial, als sie abgerufen haben.“
Der 55-jährige Bosz übernimmt das Amt mit Beginn der Rückrunden-Vorbereitung am 4. Januar und bekommt einen Vertrag bis 30. Juni 2020. Für ihn ist es die zweite Station in der deutschen Topliga nach dem wenig ruhmreichen Halbjahres-Intermezzo bei Borussia Dortmund: Der BVB hatte sich nach einer Serie von Misserfolgen am 10. Dezember 2017 von Bosz getrennt und seinerzeit Peter Stöger leidlich retten lassen, was Bosz verbockt hatte. Das weiß auch Völler, der aber lieber die positiven Aspekte hervorhob: „Wir sind begeistert, von der Art und Weise, wie er in Amsterdam hat spielen lassen.“
Mit Bosz will der Verein versuchen, „unseren ambitionierten Ansprüchen so schnell wie möglich wieder gerecht zu werden“, sagte Fernando Carro, Vorsitzender der Bayer-Geschäftsführung. Herrlich, der sich vor der vergangenen Saison und seinem Amtsantritt zur Spielzeit 2017/18 über tolle Arbeit bei Jahn Regensburg mit zwei Aufstiegen bis in die 2. Liga empfohlen hatte, wurde das jetzt nicht mehr zugetraut. In seiner ersten Spielzeit als Chefcoach führte der ehemalige Vollblutstürmer von Leverkusen, Borussia Mönchengladbach und Borussia Dortmund den Verein auf den fünften Platz und in die Europa League. Die Qualifikation für die Champions League wurde nur wegen der Tordifferenz verpasst. Schon das war bei den Verantwortlichen schlecht angekommen.
Jetzt scheint der Verein mitten im Umbruch. Sportdirektor Rolfes traut Bosz die Wende zu. Er stehe „für offensiven, temporeichen und begeisternden Fußball“ und hat laut Rolfes eine Eigenschaft, die ihn für Bayer prädestiniert: „Er hat auf seinen Trainerstationen immer eine besondere Passion bei der Arbeit mit jungen Spielern gezeigt.“