Borussias Reifeprüfung vertagt - Favre: „Alles offen“
Sevilla (dpa) - Den Mönchengladbacher Spielern kam das irgendwie nicht ganz geheuer vor: Die 2100 Borussia-Fans auf den Tribünen des altehrwürdigen Estadio Ramón Sánchez Pizjuán sangen nach dem 0:1 (0:0) beim FC Sevilla inbrünstig vom „geilsten Club der Welt“.
Sie wollten ihre Lieblinge in die Kurve locken, um sie dort trotz der Niederlage zu feiern. Geradezu schüchtern schlichen die Fußballprofis herbei und wirkten beinahe ratlos ob der euphorischen Gesänge nach dem verlorenen Hinspiel in der ersten K.o.-Runde der Europa League.
Die Anhänger des fünfmaligen deutschen Meisters tobten sich vor Freude fast aus, obwohl es überhaupt nichts zu lobpreisen gab. Eine höchst akzeptable Leistung vielleicht, aber nicht das Resultat. 0:1 beim Titelverteidiger FC Sevilla und die Frage vor dem Rückspiel am 26. Februar im Borussia-Park: Schafft die Mannschaft endlich die internationale Reifeprüfung nach dem vorzeitigen Aus vor zwei Jahren gegen Lazio Rom und zieht ins Achtelfinale ein?
Für Max Eberl eine klare Sache: „Es war hohes Niveau, wir haben Sevilla die Stirn geboten. Und die Art und Weise gibt berechtige Hoffnung, dass wir weiterkommen können“, kommentierte der Borussia-Sportdirektor die Niederlage in Andalusien durch das Tor von Vicente Iborra in der 70. Minute. Diese Ausgangsposition sei machbar, „das Spiel gibt mir Mut, dass wir zu Hause gegen Sevilla bestehen können“, unterstrich Eberl.
Die Gladbach-Profis waren deutlich weniger angetan. Abwehrchef Martin Stranzl machte klar, dass der Minimalisten-Fußball, der sich irgendwie eingeschlichen hat, nicht zwangsweise zum Erfolg führt wie noch beim 1:0 gegen Köln am vergangenen Wochenende in der Bundesliga. „Es geht im Fußball um Tore - und die haben wir versäumt zu machen“, klagte Stranzl.
Der Borussia-Kapitän verhehlte nicht seinen Ärger nach dem fünften 0:1 oder 1:0 in der Rückrunde. Er wollte, noch ein wenig im Frust, „ein, zwei, drei Bier in der Bar“ trinken. Stranzl war vom Minimalisten-Fußball auch deshalb so verärgert, „weil wir eigentlich ein gutes Spiel gemacht haben“. Aus Sicht von Trainer Lucien Favre ist „noch alles offen“. Für Weltmeister Christoph Kramer, der am Spieltag 24 Jahre alt wurde, war es dennoch „ein doofes und unnötiges Ergebnis“, für die Schweizer Granit Xhaka und Yann Sommer war das 0:1 unisono „bitter“.
Zum Lamentieren indes bleibt überhaupt keine Zeit. Am Sonntag (15.30 Uhr) muss die Borussia beim Hamburger SV antreten, danach sind Paderborn, Mainz und Hannover die Gegner in der Bundesliga. „Da kann man zwölf Punkte holen, ohne größenwahnsinnig zu sein“, meinte Kramer.
Das ist das eigentliche Ziel der Borussia: Auf Europas kleinerer Fußball-Bühne muss man nicht zwangsweise über den Vorjahresgewinner triumphieren. Viel wichtiger ist, in der Liga erfolgreich zu bleiben und Rang drei bis zum Ende erfolgreich zu verteidigen. Dann ist die Reifeprüfung bestanden. Und dann winkt auch das richtig große Geld. Denn die Europa League lohnt nicht wirklich: 200 000 Euro gab es für die Runde der besten 32, 350 000 wären es für das Achtelfinale. In der Champions League sind es dann schon 3,5 Millionen Euro.