Fan-Szene im Wandel: „Brennglas“ der Gesellschaft
Berlin (dpa) - Schwarzer Kapuzenpullover statt Kutte mit Vereinsaufnähern, zunehmend brutalere Ausschreitungen und sogar Aggressionen gegen den eigenen Verein: Die Fan-Szene im deutschen Fußball wird seit Jahren extremer.
Immer mehr Jugendliche erliegen der Faszination der „Ultra-Fans“ - einer Art Jugendbewegung, die sich in ganz Deutschland ausbreitet. Die Vereine stehen diesem Phänomen oft hilflos gegenüber. Die Deutsche Fußball Liga (DFL) versucht, mit modernen Kommunikations-Techniken einen Dialog auf Augenhöhe zwischen den Clubs, der Anhängerschaft und der Polizei in Gang zu setzen.
„Das ist aber ein langer und steiniger Weg“, sagte Thomas Schneider, Fanbeauftragter der DFL. Zumal die Ultra-Fans in den vergangenen Wochen mit immer exzessiveren Gewaltausbrüchen und Drohungen die Fronten verhärten ließen. In Frankfurt gab am Wochenende ein Zivilpolizist einen Warnschuss ab. Er sei von Fans so massiv bedroht worden, dass er sich nicht anders zu helfen wusste. Die extremen Anhänger widersprachen jedoch dieser Darstellung. Zuvor waren in Köln Morddrohungen gegen die FC-Spieler auf eine Werbebande auf dem Trainingsplatz gesprüht worden.
Den Ultra-Fans geht es nicht nur um den sportlichen Erfolg des eigenen Clubs. Ultra zu sein, ist für viele eine Lebenseinstellung: „Alles tun für den eigenen Verein, egal mit welchen Mitteln“. Es ist zudem eine Art Protesthaltung gegen die Obrigkeit oder gegen die Polizei. Klar ist aber auch, dass nicht jeder Ultra-Fan gewaltbereit ist. Es geht auch um Macht im Verein.
Die Causa 1860 München wurde zum Politikum für die Ultra-Bewegung „Schickeria“. Es gab Anfeindungen gegen Präsident Uli Hoeneß, der jedoch blieb standhaft. „Wir müssen auf die organisierten Fans aufpassen, die einen immer größeren Einfluss auf die Vereinspolitik nehmen wollen“, hatte Wolfsburgs Trainer Felix Magath nach den Vorfällen von München gesagt.
„Der Fußball ist nicht nur ein Spiegelbild der Gesellschaft, sondern in ihm bündeln sich die gesellschaftlichen Probleme wie in einem Brennglas“, sagte Professor Gunter A. Pilz vom Sportinstitut der Leibniz-Universität in Hannover. Der Fanforscher ist über die Entwicklungen der Ultra-Szene in den vergangenen Wochen erschrocken. Dem Magazin „Stern“ sagte er: „Damit ist jede Grenze des Geschmacks und des Vertretbaren überschritten. Man greift den eigenen Verein an, der eine soziale Ader im Sinne der Fußballfamilie erkennen lässt. Dafür habe ich kein Verständnis.“
Schneider setzt auf Gespräche - mit modernen Kommunikationsmitteln. „Es kann nicht sein, dass sich eine Partei dem Dialog verweigert. Eine Zusammenarbeit kann man jedoch nicht verordnen, wir wollen Eigenmotivation schaffen“, erklärte Schneider bei der Pressekonferenz zum einjährigen Bestehen des 10-Punkte-Plans der DFL und des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) für mehr Sicherheit im Stadion.
Die DFL lässt sich von einem wissenschaftlichen Beirat helfen. Zudem müssen die Bundesligaclubs einen hauptamtlichen Fan- und Sicherheitsbeauftragten einstellen. „Somit haben alle Seiten, die für die Sicherheit zuständig sind, einen immer greifbaren Ansprechpartner“, sagte Schneider, der sich seit Jahren mit dem Phänomen „Ultra“ beschäftigt. Er will in Zukunft noch mehr in die Frühprävention investieren. „Wir müssen uns mit den möglichen Problemgruppen von Übermorgen beschäftigen.“