Legenden Die alten Stars kicken noch
Sundern/Dormagen · Die Vereine der Bundesliga pflegen ihre Geschichte mit Traditions-Teams. Ein Besuch in Sundern beim Ruhrpott-Klassiker oder in Hackenbroich auf den Spuren der Weisweiler-Elf: Ein bisschen was geht immer noch.
Andreas „Obel“ Obering steht in der gleißenden Sonne von Sundern auf der Aschenbahn. Sauerland. Aus den Boxen, die eigentlich die Bezirksliga-Kicker von TuS Sundern auf den Rasen ins Röhrtalstadion geleiten, dröhnt jetzt der Schalke-Klassiker „Blau und Weiß, wie lieb‘ ich dich“. Obering, der mal Teil des Comedy-Duos „Till und Obel“ war, kommentiert jetzt den ewigen Ruhrpott-Klassiker: Schalke gegen den BVB. Es sind die Traditionsteams. Hier die Knappen, dort die Dortmunder. „Wir leben dich“ steht auf den blau-weißen Trikots. Dort: „Echte Liebe“. Marketing macht vor Tradition nicht Halt.
Das Event in Sundern ist große Fußball-Geschichte, 2000 Tickets gab das Sicherheitskonzept her. „Mehr gingen nicht aus Sicherheitsgründen“, sagt Erwin Spreizer, Vorstand des TuS Hachen, verschwitzt im Orga-Raum. Er hat das Spiel mit Eric Wachholz vom TuS Sundern für die Jugendarbeit der beiden Vereine organisiert. Die Tanzgarde der Hüstener Karnevalsgesellschaft tanzt, die Kicker zaubern, was die alten Knochen noch hergeben. Alles etwas langsamer als einst, was nicht allein an den Temperaturen liegt, auch an manchem Kilo. Aber immer noch mit klar erkennbarem Spielverständnis.
Das Geschäft mit den Legenden-Teams boomt
Der 1996er Europameister Thomas Helmer, der sich an der Bande im Smalltalk mit den Fans aufgewärmt hat, hat später einen schweren Stand in Dortmunds Defensive. Schalke gewinnt 7:2, hat mit Olivier Caillas oder Kamil Waldoch, Sohn von S04-Legende Tomasz Waldoch, körperlich richtig fitte Spieler in seinen Reihen. Helmer nimmt es locker, umarmt auch mal seinen Ex-Nationalelf-Kollegen Olaf Thon während des Spiels.
Die Rivalität von einst ist dem Charme des Alters gewichen. Altersmilde? Sein Trainer Günter Kutowski, mit dem Helmer in den 90ern die Innenverteidigung beim BVB bildete, mag sich mit der Derby-Schmach weniger anfreunden. „Nein“, sagt er, „leicht nehmen wir das sicher auch heute noch nicht. Niederlagen schmerzen immer, besonders gegen Schalke.“
Schalke spielt mit Olaf Thon oder dem einstigen Torjäger Martin Max – von der Seitenlinie lenken Rüdiger Abramczik oder Klaus „Tanne“ Fichtel. Ihre Gegner heißen Helmer und Frank Mill, auch die Pokalsieger-Legende Günter Breitzke oder der Abwehrriese Uwe Grauer sind dabei.
Mill erzählt den Fans an der Auswechselbank in der notwendig gewordenen Kunstpause angeregt die Anekdoten aus seinem Profi-Fundus. „Mit Stephane Chapuisat habe ich am liebsten gespielt, ein wunderbarer Stürmer“, sagt er, und die Fans hängen an seinen Lippen. So nah kommen sie ihren heutigen Stars selten.
Klar ist: Ältere und jüngere Spieler werden in den Oldie-Teams der Bundesligisten mit Verstand gemischt. Bei Hannover 96 hat Frank Obermeyer die Erfahrung gemacht, dass man mit den wirklich älteren Spielern in Vielzahl auf Dauer keinen Staat mehr machen kann. „Wenn Du nur mit den Alten aufläufst“, sagt er lächelnd, „dann bekommst du in jedem Spiel eine Packung.“
Finanziell trägt sich die Auswahl der alternden Hochbegabten selbst. Kommt die 96-Kombo zu Jubiläumsspielen oder Platzeinweihungen aufs Dorf, nimmt das Team eine Antrittsprämie. Die wird genutzt, um den Spielbetrieb zu organisieren, größere Summern werden auch regelmäßig gespendet. Bei Benefizspielen tritt man kostenlos für den guten Zweck an. Ein durchaus gebräuchliches Modell.
Aber: Wer Geld mit der Prominenz verdienen will, muss schon einige Tausender hinlegen, um die Altstars auf den heimischen Kartoffelacker zu lotsen. Genauere Summen sind kaum zu erfahren, aber das Geschäft blüht: Der FC Schalke 04 tritt 30 bis 35 Mal im Jahr an, immer mit veränderter Mannschaft. Niemand kann immer, dafür ist der Kader, in dem auch Klaus Fischer, Ingo Anderbrügge, Jiri Nemec oder Mike Büskens stehen, auch stattlich. Spätestens seit Olaf Thon die Verantwortung für die Schalker Oldies übernommen hat, ist die Traditionself beliebter als je zuvor. Thon ist der Letzte, der in Sundern noch unentwegt Autogramme schreibt. Sogar auf BVB-Trikots oder alten Panini-Alben landet der Schriftzug.
Gladbachs Weisweiler-Elf Karl-Heinz Pflipsen oder Filip Daems immer noch stark besetzt
Es ist die Mischung aus Witz, fußballerischer Fertigkeit und altem Profi-Ehrgeiz, den auch die Weisweiler-Elf von Borussia Mönchengladbach antreibt. Weisweiler-Elf – schon der Name verpflichtet. Und wenn man sie dem strömenden Regen auf der Anlage des TuS Hackenbroich nahe Dormagen trotzen sieht, dann ist das eine fußballerisch noch anspruchsvolle Melange: Hier der nur leicht ergraute Karl-Heinz Pflipsen als Mittelfeldmotor im Doppelpass mit Peter Wynhoff, dort der noch agile Brasilianer Chiquinho mit dem Brecher von einst, Bachirou Salou. Das Torgestänge auf dem Hackenbroicher Rasenplatz hat diesen wunderbar rostigen Charme. Gladbach ist mit jüngst erst in Fußball-Rente gegangenen Spielern wie Filip Daems oder Andrej Voronin heillos überlegen, es regnet Bindfäden, 200 Zuschauer wollen trotzdem sehen, was die Alten noch draufhaben. Am Rand steht der TuS-Vorsitzende Hans Sturm mit einer Kolonne von Ehrennadeln am Revers, Sturm wird nach 51 Jahren verabschiedet.
Am Ende soll alles Geld der eigenen Jugendabteilung und den Hackenbroicher Kindereinrichtungen zugute kommen. Kann man Fußball-Prominenz besser einsetzen? Gladbachs Trainer Herbert Laumen steuert seine Elf zum 9:2-Sieg. Es wird auch gerne schon mal zweistellig. Ein bisschen was geht halt immer noch.
Von den Bundesligisten hat nur RB Leipzig keine Traditionself
Mit der zunehmenden Professionalisierung aller Bundesliga-Clubs haben immer mehr Vereine ihre Stars wieder aktiviert. Auch Aufsteiger Fortuna Düsseldorf legt seit einigen Jahren viel Wert darauf, seine Tradition sichtbar werden zu lassen. 2015 startete der Club einen Neubeginn. „Zu einem Traditionsverein gehört eine Traditionsmannschaft“, ließ sich der damalige Vorsitzende Dirk Kall zitieren. Gesucht wurde Wärme – mit der Mannschaft der Ex-Stars hat man dann die Heizung angeschmissen.
Oft sind es die alten Haudegen, die sich verantwortlich kümmern. Wie Roy Präger in Wolfsburg. Beim Branchenriesen FC Bayern zeichnet Hans Pflügler verantwortlich, in Stuttgart Peter Reichert. Namen, die für eine Traditon stehen,die sich ein einziger deutscher Erstligist noch erwerben muss: RB Leipzig hat keine Traditionsmannschaft.
Dabei genießen die Exprofis, was ihr Leben geprägt hat. Das Zusammengehörigkeitsgefühl in der Kabine, der Flachs. Anekdoten, die Bestätigung der Fans. So ist es auch bei den Schalkern und Dortmundern. In Sundern schreiben sie Autogramme und stellen sich für Selfies zur Verfügung. „Deswegen habe ich mich ja extra etwas früher auswechseln lassen“, sagt Thon. Im Vereinsheim ist ein kleines Buffet hergerichtet. Warmes Essen vom Sponsor, Salate von den Vereinsmitgliedern, dazu das eine oder andere Pils. „Es hat mich begeistert“, sagt Vorstand Spreizer, „wie die Ex-Profis sich danach noch unter die Leute gemischt haben.“ Es gibt eben immer noch etwas zu erzählen. Vor allem wenn die Gegner Schalke und Dortmund heißen.