Frankreichs Respekt hat Grenzen: „Unser Spiel durchziehen“

Marseille (dpa) - Rache für das WM-Aus in Brasilien, Ruhm nach Jahren der Demütigungen: Das Duell um den Einzug in das EM-Finale gegen Weltmeister Deutschland wird für Frankreichs Fußballer zum Spiel gegen die Vergangenheit.

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„Wir können die Geschichte nicht verändern. Es gibt aber neue Kapitel, die geschrieben werden können auf leeren Seiten“, sagte Trainer Didier Deschamps einen Tag vor dem Halbfinal-Kracher in Marseille.

Mit dem magischen Tor-Trio und einer gigantischen Stimmung wollen er und sein Team den K.o.-Fluch gegen die DFB-Auswahl ein für allemal beenden. „Solche Spiele werden manchmal in Details entschieden, und ich hoffe, dass die Fans uns helfen, das letzte Quäntchen rauszuholen“, sagte Torwart Hugo Lloris und forderte: „Wir müssen über unsere Grenzen hinauswachsen.“

Die Superlative gehen nicht aus vor dem Gipfeltreffen, Lob und Anerkennung für die Qualitäten der deutschen Mannschaft ebenso nicht. Dennoch: Nur nach dem Team und der Taktik von Kollege Joachim Löw will sich Deschamps nicht richten. „Trotz allem Respekt, den wir vor dem Weltmeister haben, wollen wir unser Spiel durchziehen“, betonte er. „Wir können aber nicht einfach defensiv auflaufen.“

Denn das Ziel ist klar: Das Endspiel vor heimischer Kulisse mit dem Titeltriumph am Sonntag in Saint-Denis. Vorher muss die Mannschaft, die seit 17 EM- und WM-Spielen zuhause ungeschlagen ist, aber zuerst einmal die fast 60 Jahre während Serie siegloser K.o.-Spiele gegen die DFB-Mannschaft stoppen. 1958 beim WM-Spiel um Platz drei gelang Frankreich mit einem 6:3 der bislang letzte Sieg in den Alles-oder-Nichts-Partien eines großen Turniers.

Vor zwei Jahren wurden Deschamps und sein Team von Deutschland im Viertelfinale der WM gestoppt. „Wir haben damals gegen einen erfahreneren und besseren Gegner gespielt. Ich glaube, dass sich unsere Mannschaft seitdem extrem weiterentwickelt hat“, betonte Keeper und Rekordkapitän Lloris.

Welche zehn Spieler vor ihm in welcher taktischen Ausrichtung spielen werden, hat Deschamps entschieden. Das Nachdenken sei beendet, sagte er mehr als 24 Stunden vor dem Anpfiff an diesem Donnerstag. Preisgeben wollte er seine Startformation natürlich nicht.

Die Tatsache jedoch, dass er die eigenen Stärken derart betonte und sich gegen eine zu große Orientierung am Gegner aussprach, deutet aber auf das bisherige Erfolgssystem 4-2-3-1 hin mit dem Dreifach-Torschützen Oliver Giroud in der Spitze und dem viermaligen Torschützen Antoine Griezmann direkt dahinter. Das magische Dreieck macht Dimitri Payet, ebenfalls schon dreimal erfolgreich, perfekt.

Bei der Abschlusseinheit am Mittwoch im Centre d'Entraînement Robert Louis-Dreyfus war Giroud nach seinen leichten Knieproblemen im ärmellosen Short bei hochsommerlichen Temperaturen ebenso dabei wie seine Offensivkollegen und alle anderen aus dem französischen Kader. Griezmann. Giroud und Payet erzielten zehn der elf Frankreich-Tore im EM-Verlauf, einer gelang dem immer besser aufkommenden Paul Pogba.

Auch er profitierte von der offensiveren taktischen Ausrichtung in der zweiten Halbzeit gegen Irland (2:1) und beim 5:2 über Island. „So brauchen wir ihn auch“, kommentierte Deschamps am Mittwoch die jüngsten Auftritte des 23 Jahre alten Juventus-Kollegen des verletzten Sami Khedira.

In Adil Rami von Europa-League Seriensieger FC Sevilla in der Innenverteidigung und N'Golo Kanté von Englands Sensationsmeister Leicester City stehen Deschamps auch die beiden zuletzt gesperrten Spieler zur Verfügung. Kanté wäre aber eher ein Mann für die defensivere und bislang weniger erfolgreiche 4-3-3-Formation.

Letztlich, glaubt Keeper Lloris, würden Spiele wie diese durch Details entscheiden. „Und ich hoffe, dass die Fans uns helfen, das letzte Quäntchen rauszuholen“, meinte er. Deschamps pflichtete an seiner ehemaligen Wirkungsstätte als Spieler und Trainerbei: „Wir werden ihre Unterstützung brauchen, es wird schwierige Momente geben.“