Kapitän Schweinsteiger schleicht sich ins Team
Évian-les-Bains (dpa) - Vielleicht hat Bastian Schweinsteiger am freien EM-Tag in Évian-les-Bains Hochzeitseinladungen verschickt.
Oder der Mann an der Seite des serbischen Tennisstars Ana Ivanovic hat den 13. Turniertag einfach genutzt, um auszuspannen und am Hotelpool ein Sonnenbad sowie die traumhafte Aussicht auf den Genfer See zu genießen. Wer weiß das schon.
Deutschlands Kapitän ist bei der Europameisterschaft in Frankreich an Bord, aber dennoch irgendwie untergetaucht. Unscheinbar. Unnahbar. Aber auch noch unverzichtbar? Beginnt die große Zeit des mit bald 32 Jahren ältesten deutschen EM-Spielers womöglich jetzt in den entscheidenden K.o.-Spielen?
„Bastian Schweinsteiger ist auf einem sehr guten Weg.“ So lautete die letzte Beurteilung von Joachim Löw, noch bevor der Bundestrainer seinem langjährigen Mittelfeldchef beim 1:0 gegen Nordirland 22 Minuten Spielpraxis verschaffte. Nach zwei Knieblessuren im EM-Jahr hat sich Weltmeister Schweinsteiger in der Gruppenphase an die Startformation herangeschlichen. Der von den Fans frenetisch bejubelte Kurzeinsatz mit dem 2:0-Treffer gegen die Ukraine war der bislang einzige große EM-Moment der langjährigen Führungskraft.
Was plant Löw? Wann führt der Kapitän das Team wieder auf das Spielfeld? Schon am Sonntag (18.00 Uhr) im Achtelfinale gegen die Slowakei in Lille? Später? Gar nicht mehr? „Es ist erfreulich, wie er sich herangearbeitet hat“, sagte Löw. Und dessen Assistenten Thomas Schneider und Marcus Sorg erklärten Schweinsteiger am Donnerstag tatsächlich erstmals zur Startelf-Option. „Er ist gut in Schuss“, sagte Schneider. Von Spiel zu Spiel, von Training zu Training präsentiere sich der 117-malige Nationalspieler „besser“, „stabiler“ und auch „spielfreudiger“, ergänzte Kollege Sorg: „Er kommt langsam an das Niveau, dass er uns von Anfang an helfen kann.“ Diese Aussage kann, muss aber nichts für das Slowakei-Spiel heißen.
Die vierte EM, das insgesamt siebte Turnier erlebt bislang einen Schweinsteiger in neuer Rolle. Er ist erstmals der DFB-Kapitän, aber eine Randfigur. Als Linienrichter Frederic Cano beim Sieg gegen Nordirland in Paris kurz vor der Pause vom Ball schmerzhaft am Brustkorb getroffen wurde und nach Luft schnappend zu Boden ging, eilte der sich aufwärmende Ersatzspieler Schweinsteiger als erster zum Unfallort an der Eckfahne. Sozusagen als Ersthelfer.
In der zweiten Hälfte wurde Schweinsteiger dann zum zweiten Mal im Turnierverlauf eingewechselt. Er löste Sami Khedira im Mittelfeld ab. Es war ein unspektakulärer Auftritt und doch ein besonderer. „Es ist eine große Ehre, Deutschlands Rekordspieler in der EURO-Historie zu sein“, übermittelte Schweinsteiger am Tag nach seinem 15. EM-Spiel, einem mehr als Philipp Lahm. Es war eine Nachricht via Twitter.
Im Stadion hatte der Kapitän, dessen Binde auf dem Platz bislang dreimal Torhüter Manuel Neuer trug, wieder mal nicht gesprochen. Reporteranfragen wies Schweinsteiger in der Mixed Zone schüchtern abwinkend zurück. Ein Verhalten, das unprofessionell ist, aber längst Alltag. Wortlos schritt der Klassensprecher zum Mannschaftsbus.
Schweinsteiger übt das Kapitänsamt, das ihm Löw 2014 nach dem Rücktritt des Weltmeister-Kollegen Lahm zeitlich befristet bis zur EM in Frankreich übertrug, lieber als Innendienstler aus. Und nicht als omnipräsenter Außenamtschef, wie es seine eloquenten Vorgänger Philipp Lahm, Michael Ballack und Oliver Kahn über Jahre hinweg vorgemacht hatten. Seit der Ankunft der deutschen Mannschaft in Évian vor zweieinhalb Wochen nahm der Kapitän nicht einmal Platz auf dem Pressepodium des DFB-Medienzentrums.
Nur eine Pressekonferenz gab Schweinsteiger, am 25. Mai zum Auftakt des Trainingslagers in der Schweiz. „Die Mannschaft steht an erster Stelle, nicht eine einzelne Person“, schilderte er dort sein Verständnis von Führung. Er mache aus dem Kapitänsamt nichts Besonderes. „Ich versuche, die Erfahrung, die ich habe, besonders den jungen Spieler mitzugeben.“ Am liebsten aktiv auf dem Feld, mit der Binde am Oberarm, als Lenker im Mittelfeld. „Für mich gibt es das Wort Aufgeben nicht“, sagte Schweinsteiger zu Beginn der deutschen EM-Reise. Gerade in den K.o.-Kämpfen ist dieser Charakter gefragt.