Hertha-Widerspruch: Champions League bis Abstiegskampf
Berlin (dpa) - Im Berliner Spätsommer 2011 war die Hertha-Welt noch in Ordnung. „Grandioses Spiel“, „brutale Qualität“, „verdienter Sieg“, „perfekt vorbereitet“ - die Akteure des 2:1-Auswärtserfolgs bei Borussia Dortmund wurden regelrecht überhäuft mit Lobeshymnen.
Nach einem Jahr Zweitklassigkeit waren die Hauptstädter dank zweier Siege in Serie in die obere Hälfte der Bundesliga-Tabelle gestürmt. Doch was dem Coup Mitte September folgte, waren Trainerpossen, Pleitenserien und ein rasanter Absturz in den Erstliga-Keller. Und da gehört Hertha nach dem Berliner Selbstverständnis nicht hin.
An der Spree hat man sich sportlich seit Jahren an Sieger gewöhnt. Die Eishockey-Spieler, Basketballer und Volleyballer holen Trophäen wie am Fließband nach Berlin, seit kurzem mischen auch die Handballer im Kampf um nationale und internationale Pokale mit. Und Hertha? Berlins Vorzeige-Kicker präsentierten sich oft nur zum Wegschauen.
Die Relegationsduelle gegen Düsseldorf sind nach einer teilweise katastrophalen Spielzeit quasi das Maximum, was letztlich in 34 Spielen herauszuholen war. Oder wie Defensivspieler Peter Niemeyer es jüngst formulierte: Nach „so einer beschissenen Rückrunde“ hätte Hertha die zwei finalen K.o.-Spiele „eigentlich nicht verdient“.
Ihren Ruf als Skandalnudel und Chaostruppe der Liga festigte die Hertha in diesem Jahr lange Zeit. Als sich Aufstiegscoach Markus Babbel im Spätherbst für einen Weggang nach der Saison entschied, eskalierte der Führungsstreit mit Manager Michael Preetz und Präsident Werner Gegenbauer. Am letzten Hinrundenspieltag bei 1899 Hoffenheim bezichtigten sich die drei Alpha-Tiere vor laufenden Kameras gegenseitig der Lüge („Baron-Münchhausen-Geschichten“) - einen Tag später wurde der Trainer mit sofortiger Wirkung entlassen.
Auf der Trainerbank folgte nach Interimslösung Rainer Widmayer für viele überraschend Michael Skibbe, der den Aufschwung nicht nur klar verfehlte, sondern Hertha mit fünf Pleiten in fünf Spielen auch bis an die Abstiegsränge heranmanövrierte. Manager Preetz musste nach dem krachend gescheiterten - und nebenbei nicht billigen - Experiment gegenüber Journalisten und aufgebrachten Fans auf dem Hertha-Trainingsgelände eine eigene „Fehleinschätzung“ einräumen.
Grandios siegen oder grandios untergehen - das ist der Berliner Weg. „Nach einem Sieg wird von der Champions League geredet, nach einer Niederlage vom Abstieg“, fasste Ex-Coach Babbel die Stimmung in der Hauptstadt jüngst in einem Interview zusammen. In dieses Bild passte im Februar die Verpflichtung des dritten Cheftrainers innerhalb einer Saison. Nicht irgendein „Feuerwehrmann“ sollte Hertha retten, sondern niemand geringerer als Trainer-Legende Otto Rehhagel, 73.
Das Beste ist in der Weltstadt Berlin gerade gut genug. Zwei Tage nach dem ersten Relegationsmatch spielen in Berlin Meister Dortmund und Rekordchampion Bayern München um den DFB-Pokal. Das Endspiel hatte übrigens auch Hertha als Ziel ausgegeben, als im Sommer die Saisonvorbereitung lief und Real Madrid zum Testspiel im Olympiastadion auflief. Champions-League-Niveau eben.