Das weibliche Millionenspiel
Zwei Monate vor der WM trainiert das deutsche Team für den dritten Titel. Die DFB-Maschinerie läuft auf allen Ebenen.
Köln. Silvia Neids Blick ist genervt. Unmissverständlich. „Frau Neid, wie muss eine starke Frau sein?“, fragt ein Reporter und will mit der Antwort und aus dem Frauenfußball wieder einmal ein Stück Gesellschaftsgeschichte machen. Aber die Nationaltrainerin versteht sich als Fußballlehrerin, ihre Frauen-Nationalmannschaft als Ansammlung von Hochleistungssportlerinnen — und nicht als Anschauungsobjekt für die Entwicklung der Frau im Allgemeinen. Also antwortet Silvia Neid: „Eine starke Frau muss gut in Zweikampf und Aufbauspiel sein, torgefährlich und einen Blick für ihre Mitspielerinnen haben.“ Punkt.
Ein kleiner Dialog, der zeigt, auf welch schmalem Grat die deutschen Fußball-Frauen zwei Monate vor Beginn der Frauenfußball-Weltmeisterschaft wandeln. Interesse? Ja, aber bitte schön auch noch ein bisschen mehr als Fußball. In dieser Woche hat Bundestrainerin Neid den ersten Lehrgang einberufen, in Köln wird an der Athletik gearbeitet, fünf weitere Lehrgänge und vier Testspiele malträtieren das 26-köpfige Aufgebot. Zwei Monate Training, Kasernierung, Hochleistung für ein Ziel: Im Sommer Weltmeister zu werden im eigenen Land. Im Idealfall also zum dritten Mal, vier Jahre nach dem Erfolg in China und acht Jahre nach Nia Künzers Finaltor in Los Angeles.
„Ich hatte früher zwei Wochen Zeit, und wir mussten sofort alles trainieren“, sagte Gero Bisanz auf der WM-Veranstaltung in einer Kölner Mercedes-Niederlassung. Bisanz ist 75, Rentner, er ist der Vater aller Fußballerinnen, er hat sie alle trainiert, die Neids und Fitschens. Alle, die jetzt Verantwortung tragen. „Ich bin überglücklich, was daraus geworden ist“, sagt er und blickt um sich.
Hinter ihm erhalten die jungen Damen des Fußballs jeweils einen nagelneuen Mercedes, der Autokonzern ist DFB-Sponsor. Dafür kann man schon mal die sogenannte Himmelsleiter rauf und runter laufen. 220 Stufen. Trainerin Neid erinnert in diesen Tagen an ihr Pendant „Quälix“ Magath.
Ähnlich bereitet sich die weibliche DFB-Elf schon seit einigen Jahren auf Großereignisse vor, und der Rest der Welt kam stets zum Turnier und staunte. „Heute machen sie alle so viel. Australien, Kanada, die USA, Schweden“, sagt Neid und schaut, als wollte sie eigentlich sagen: Begreift doch, dass das hier kein Kindergeburtstag mehr ist.
Wird es tatsächlich nicht. Die dreiwöchige WM vom 9. Juni an ist ein Millionenprojekt, viele wollen ein neues Sommermärchen, neue Geschichten, Silvia Neid will: „Den Titel gewinnen — und das wird schwierig genug.“
Die Geschichten sollen andere liefern. Fatmire Bajramaj, das viel besungene schöne Gesicht der Elf etwa. Bajramajs Fingernägel sind rot lackiert. Sie muss über ihre Schuhe sprechen, über das Aussehen der Spielerinnen. Sie sagt, das helfe dem Frauenfußball. „Jeder will von seinem Sport leben können.“ Sie ist auf gutem Weg.
Bundespräsident Christian Wulff hat das Team zuvor in Bitburg besucht. „Der ist nicht gerade zum Nabel der Welt gekommen“, sagt Teammanagerin Doris Fitschen stolz, zuvor war der ganze Tross bei Kanzlerin Angela Merkel. Das Programm ist mediale Höchstleistung, der DFB-Apparat läuft, genug Geld ist da. Nun, bitte schön, soll sich Deutschland auch interessieren.
Im Spielort Leverkusen sieht die Realität anders aus. Für ein Viertelfinale sind 16 000 Tickets verkauft, jeweils 6000 sind es aber nur in den drei Vorrundenspielen. „Ohne deutsche Beteiligung ist es schwierig“, sagt Bayer-Kommunikationsdirektor Meinolf Sprink. Auch Bochum kämpft. Insgesamt sind 580 000 Karten weg, die deutschen Spiele ausverkauft. 220 000 Tickets sind noch auf dem Markt. Zwei Monate bleiben. Dann muss alles, wirklich alles perfekt sein.