Verheerendes Echo auf WM-Vergabe - Kritik an FIFA
Zürich (dpa) - Die Scheichs aus Katar feierten hinter verschlossenen Türen, Russlands starker Mann Wladimir Putin stellte seine Freude öffentlich zur Schau - im Rest der Welt herrschte teilweise blankes Entsetzen über die WM-Vergabe.
„Was haben Russland und Katar gemeinsam? Öleinnahmen und Korruption. Das scheint der FIFA zu gefallen“, giftete der schwedische „Expressen“ nach der Wahl, die von Bestechungsvorwürfen gegen mehrere Exekutivmitglieder des Fußball-Weltverbandes (FIFA) überschattet war.
FIFA-Präsident Joseph Blatter und seine Gefolgsleute sind mit der erstmaligen WM-Vergabe 2018 nach Osteuropa und 2022 in den Nahen Osten zweifellos ein großes Wagnis eingegangen, denn die siegreichen Bewerbungen waren nicht die besten. Im Gegenteil: Die in den kommenden Jahren zu lösenden Probleme, etwa bei der Infrastruktur, sind beträchtlich. Doch Blatter & Co. folgten der Spur des Geldes, denn beide Turniere versprechen durch das Erschließen neuer Märkte hohe Renditen. „Es geht ums Geschäft - mehr oder weniger schmutzig. Es geht um Blatter, der immer gewinnt, während der jüngste von vielen Skandalen einfach an ihm abperlt“, kritisierte Italiens „La Gazzetta dello Sport“.
Der angeschlagene FIFA-Boss dürfte sich mit dem taktisch cleveren Schachzug, zwei weiße Flecken auf der WM-Landkarte zu tilgen, ein hübsches Stimmenpaket für seine im kommenden Jahr anstehende Wiederwahl gesichert haben. Welchen Verlauf die WM-Endrunden nehmen, dürfte Blatter egal sein. In acht beziehungsweise zwölf Jahren wird der heute 74-Jährige wohl nicht mehr an der Spitze des weltweit größten Verbandes mit 208 Mitgliedsländern stehen.
Bei den Verlierern herrschte teilweise Wut und Enttäuschung. US- Präsident Barack Obama sprach offen von einer „falschen Entscheidung“, Katar den Vorzug zu geben. Für die norwegische Zeitung „Dagbladet“ war dies sogar der „größte Fußballwitz aller Zeiten“, die italienische Zeitung „La Repubblica“ befürchtet 2022 „Fußball in einer Seifenblase“.
Vernichtend fiel das Urteil einiger Experten aus: „Der Fußball müsste immer an erster Stelle stehen“, betonte Bayern Münchens Trainer Louis van Gaal am Freitag. Er bezeichnete die WM im Wüstenstaat als „unglaublich“ und „nicht die richtige Wahl“.
Für Bundestrainer Joachim Löw ist die Vergabe „eine im Moment unglaublich mutige Entscheidung“. Wie Löw befürchtet auch DFB- Teamarzt Tim Meyer große Probleme mit der Hitze. Diese würden selbst durch klimatisierte Stadien, wie sie die Scheichs versprochen haben, nicht gelöst. „Dann müsste man sich mit den Problemen klimatisierter Räume auseinandersetzen, zum Beispiel mit der meist sehr trockenen Luft. In jedem Fall wird der Flüssigkeitshaushalt aller Beteiligten auf eine harte Probe gestellt“, sagte Meyer.
Winfried Schäfer, der als Trainer einige Jahre in Dubai tätig war, warnte ebenfalls vor den tropischen Temperaturen in der Golf-Region: „Es ist unerträglich. Ohne jegliche Verantwortung wird da Fußball gespielt in dieser Zeit“, sagte der frühere Bundesligacoach. „Aus der Fan-Perspektive war das die denkbar schlechteste Entscheidung“, sagte Michael Gabriel, der Leiter der Koordinationsstelle der Fanprojekte. Er fürchtet, dass Reisen für die Anhänger extrem teuer werden und die wahren Fans zu Hause bleiben.
An Blatter tropft die massive Kritik jedoch ab. Die heftigen Reaktionen aus dem tief verletzten Mutterland des Fußballs dürften dem Schweizer sogar Vergnügen bereiten, waren in England doch kurz vor der Wahl die jüngsten Korruptionsfälle in der FIFA aufgedeckt worden.
„Verkauft - der Fußball kommt nicht nach Hause. Die beste Bewerbung hat verloren. Russlands milliardenschwere Oligarchen und die Öl-Milliardäre aus Katar haben gewonnen“, schäumte der „Daily Mirror“. Das Boulevardblatt „The Sun“ behauptete gar: „Die WM-Vergabe entpuppte sich als Schiebung, nachdem sich abzeichnete, dass Russland das Ergebnis schon 24 Stunden vor der Bekanntgabe wusste.“
Ministerpräsident Wladimir Putin, der nach dem Wahlsieg in Windeseile nach Zürich geeilt war, wollte davon in der Stunde des Erfolgs natürlich nichts wissen. „Wir werden zeigen, dass wir ein ehrenwertes Land und offen gegenüber der Welt sind. Die WM wird das Image Russlands fördern und Europa weiterentwickeln. Auch die unsichtbaren Berliner Mauern werden fallen“, verkündete der Drahtzieher der erfolgreichen Bewerbung am späten Donnerstagabend in der Messe Zürich.
Eine Stunde lang saß Putin als Alleinunterhalter auf dem Podium und genoss den russischen Triumph über das gedemütigte England und die Doppel-Bewerbungen von Spanien und Portugal sowie der Niederlande und Belgien. „Herr Blatter hat ein besonderes Interesse an Russland gezeigt, auch während der Bewerbung. Aber wir sind immer korrekt vorgegangen“, sagte Putin und bestätigte damit den guten Draht zwischen dem Kreml und der FIFA-Zentrale.
Vermutungen, Putin sei aus taktischem Kalkül der Vergabe fern geblieben, wies dieser mit süffisantem Lächeln zurück: „Es war für mich eine komplizierte Entscheidung, vor der Wahl nicht nach Zürich zu kommen. Aber ich hatte das Gefühl, dass wir auch so gewinnen können, denn wir hatten eine gute Bewerbung“, sagte er zu vorgerückter Stunde und kündigte danach an: „Ich werde mich bei Herrn Blatter persönlich für diese Entscheidung bedanken.“