Erfolgreich in Nizza Viele wollen Favre, aber was will Favre selbst?

Der Schweizer ist erfolgreich in Nizza. Das weckt deutsche Vereine. Aber eigentlich will der 59-Jährige Südfrankreich gar nicht verlassen.

Lucien Favre fühlt sich in Südfrankreich wohl.

Foto: Federico Gambarini

Düsseldorf. Bei Borussia Mönchengladbach wurmt es sie noch heute. Dass Lucien Favre nach erfolgreichen Jahren und dann sechs Niederlagen zu Saisonbeginn 2015/16 am 20. September 2015 überstürzt hingeworfen hat und geflüchtet ist. Mehrere Male zuvor schon hatte der sensible Schweizer seinen Rücktritt angeboten, gar damit gedroht. Zumeist hatte das seinerzeit Gladbachs Manager Max Eberl abgefangen, er redete auf Favre ein, überredete ihn, wurde so zum Favre-Psychologen.

Eineinhalb Jahre später ist Lucien Favre, 59 Jahre alt, wieder in aller Munde: Als Trainer, der mit dem französischen Erstligisten OGC Nizza in der nächsten Saison in der Champions League antreten wird. Und eben auch als Ikone, den deutsche Topclubs umgarnen. Wer sich in diesen letzten Tagen einer für viele zähen Saison nach einer neuen Hoffnung umschaut, der landet bei Favre. Bei dem Mann, dessen Haar langsam weiß wird, im November wird er 60. Der mit seinem überstürzten Abschied aus Gladbach an seiner Legende gestrickt, aber nichts von seinem Wert verloren hat.

Fußball ist Psychologie, und dieses Feld beackert der bisweilen wunderliche Schweizer vielleicht sogar unbewusst mit Verve. Man muss nur mal weg sein, um anderen die Chance zu geben zu erkennen, was fehlt. Bayer 04 Leverkusen etwa, das einen Neuanfang braucht, soll an ihm gebaggert haben. Jetzt heißt es, Borussia Dortmund wolle Favre als Nachfolger vom Vielleicht-bald-Ex-Trainer Thomas Tuchel. Wie schon vor zwei Jahren, als Favre ein hoch gehandelter Kandidat als Klopp-Nachfolger war. Und dann doch Tuchel kam. Falsche Fährte?

Aus seinem Umfeld ist zu hören, dass sich Favre und dessen Frau Chantal in Frankreich wohl fühlen. Vertrag bis 2019. Dass er nicht nur Erfolg hat, sondern in seiner Muttersprache — endlich! — auch ein anderes Bild von sich schaffen konnte. In Deutschland war das bisweilen ein Problem, zuerst für Favre. In Frankreich, heißt es, gelte er als Philosoph. Das schmeichelt.

Er ist mit den Seinen ein bissiger Verfolger der superreichen Clubs Paris St. Germain und AS Monaco. Favre hat mit seiner jungen Elf, in der sein alter Gladbach-Spezi Dante und der ihm zugefallene Italiener Mario Balotelli die Stützen sind, 77 Punkte geholt. Zwei ausstehende Spieltage werden am dritten Platz und der CL-Qualifikation nichts mehr ändern. Balotelli, den Umtriebigen, hat er gezähmt. Balotelli über Favre: „Er steht auf einer Stufe mit Mourinho“. Favre hat sich — so schreibt die „Zeit“ am Donnerstag — die anderen Stars selbst gebastelt.

Es würde zu Favre passen, wenn er diese Entwicklung weiter aus Nähe verfolgen wollen würde. Zudem soll der AS Monaco auf Favre schielen, weil dessen Trainer Leonardo Jardim nach England tendiert. Die Familie Favre fühlt sich wohl in Südfrankreich, Monaco wäre um die Ecke, und Favre hätte dann ziemlich viel Geld zur Verfügung. Man entwickelt ja auch ganz gerne teure Talente weiter.

In Nizza ist alles knapper, das Trainingszentrum ist eine Farce: Zwei Plätze, keine Seltenheit, dass einer davon von der Sonne verbrannt ist. Und das nervt Favre. Klagen konnte er schon immer ganz gut. Aber gemacht hat er es dann eben doch. Man hatte sich ja auch gewundert, warum er seinerzeit überhaupt in Nizza gelandet war. Sein Umfeld in Deutschland hatte Größeres mit ihm vor: Ein Spitzenverein in Europa, vielleicht ein Topclub in der Premier League. In Frankreich, heißt es, sind auch die Premier-League-Vereine sehr viel aufmerksamer geworden auf ihn. Favre selbst wollte immer zum FC Bayern. Aber von dort kam nichts.

Und Dortmund? Schwer vorstellbar, dass der Fußball-Lehrer im Revier landet, wo die Fans sich nach einer freudvollen Trainer-Club-Fans-Seelen-Gemeinschaft sehnen, die Favre in seiner Art, eher bei sich als bei anderen zu sein, nie erfüllen könnte. Er braucht Ruhe für seine Fußball-Detailarbeit: Passspiel, Laufwege, immer wieder, üben bis zum Exzess. In Frankreich gelingt das gut. Wie in Zürich, in Berlin, auch in Mönchengladbach. Er hat viele Optionen. Aber ein Favre will gut überlegt sein.