„Copa das Copas“: Massenparty statt Massenproteste

Rio de Janeiro (dpa) - Bis zu einer Million Menschen machten vor einem Jahr bei der WM-Generalprobe in Brasilien mobil, und sie hatten gute Gründe auf die Straße zu gehen. Doch seit dem Anpfiff des Spektakels vor zwei Wochen sind die Proteste kaum wahrnehmbar

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Korruption und Misswirtschaft, desolate Zustände in Hospitälern, Schulen und im Nahverkehr standen für viele im krassen Widerspruch zu den Glitzerbauten der WM-Stadien und den Milliarden-Ausgaben für die „Copa das Copas“, die Weltmeisterschaft der Weltmeisterschaften. Daran hat sich in zwölf Monaten nur wenig geändert.

Es sind oft nur einige Hundert Demonstranten, manchmal auch nur eine Handvoll, die eskortiert von massiven Polizeieinheiten dem WM-Trubel mit „FIFA go home“-Bannern trotzen. Doch sie gehen in der schieren Masse der WM-Fans aus aller Herren Ländern oft einfach unter. Als eine „Mischung aus Erleichterung und Angst“ erlebt Christopher Gaffney die Stimmung im WM-Land. Der US-Geograf ist seit 2009 in Brasilien und beobachtet seitdem intensiv die Vorbereitung des Gastgebers auf die WM und auch die Gegenbewegung. Es gebe weiter Proteste und auch viele Streiks, aber die WM binde eben auch viele Arbeitskräfte: „Man kann nicht arbeiten und protestieren.“

Im Vergleich zu 2013 habe sich allerdings nichts verändert. „Im Gegenteil: Vieles hat sich verschlechtert“, sagte Gaffney der dpa. Die Menschen hätten aber in den Medien viel über das gewaltige Sicherheitsaufgebot, die Sondertruppen und Robo-Cops während der WM gelesen. „Die lassen ihre Kinder nicht mehr auf die Straße“, sagt der 44-Jährige, der eine Gastprofessur an der Universidade Federal Fluminense in Rio hat. 2013 waren es vor allem Jugendliche, die aus Frust über das System als treibende Kraft auf die Straßen gingen.

Keine Frage: Die Proteste haben deutlich an Schlagkraft verloren. Dies dürfte auch mit den Krawallen des Schwarzen Blocks zusammenhängen. Vor allem der Tod des Kameramanns Santiago Andrade (49) schockte im Februar dieses Jahres die Menschen. Er wurde bei einem Protest in Rio von einer Feuerwerksrakete getroffen, die Demonstranten auf ihn abgeschossen hatten. „Nach diesem Vorfall haben die Proteste viel Unterstützung verloren. Die Menschen haben auch Angst, sich der Gefahr auszusetzen“, sagt der Politikwissenschaftler Leonardo Barreto.

Im Gegensatz zu den Protesten des Vorjahres werden die Aktionen im WM-Jahr von Organisationen wie der Bewegung obdachloser Arbeiter (MTST) oder auch vereinzelt von Parteien und Gewerkschaften durchgeführt. Zum Confed-Cup 2013 war es dagegen eine über das Internet koordinierte Massenbewegung, die weder Parteien noch Gewerkschaften in ihren Reihen duldete. In Verruf gerieten die Proteste durch nächtelange Straßenschlachten zwischen Randalierern und der Polizei, die oft mit brachialer Gewalt gegen die Demonstranten vorging.

Selbst Protest-Befürworter zeigen Verständnis angesichts der nationalen Mission, den sechsten WM-Titel im eigenen Lande zu hohlen. „Das ist nicht mehr der Moment für Proteste. Während der Spiele wollen die Menschen die Spiele sehen. Das ist natürlich“, sagt die linke Präsidentschaftskandidatin der Partei Sozialismus und Freiheit (PSOL), Luciana Genro. Die Wahlen sind in Brasilien am 5. Oktober, und die Regierung, allen voran Präsidentin Dilma Rousseff, brachte mit der „Copa das Copas“-Botschaft eine massive Kampagne auf den Weg. Doch selbst Rousseff scheut den Weg ins Stadion. Denn dort warten oft Pfiffe und Buh-Rufe auf sie.

Der zentrale Slogan der WM-Gegner - „Não Vai Ter Copa“ (Es wird keine WM geben) - ist aber de facto widerlegt und auch der angedrohte Proteststurm fiel bislang aus. Seit 14 Tagen sind es vor allem die Stürmer auf dem Platz, die die Nation in den Bann ziehen. Vieles hängt vom Abschneiden der Rekordweltmeisters ab, der es bereits ins Achtelfinale geschafft hat. Sollte sich die Seleção in der K.o.-Runde aber früh verabschieden, schließt Gaffney eine Wiederbelebung der Proteste nicht aus: „Denn dann werden sich viele Leute fragen: Und dafür die ganzen Ausgaben?“