Russland: Mach’s noch einmal, Guus!
Der Trainer aus den Niederlanden hat der „Sbornaja“ zu neuem Ruhm verholfen – und trifft im Viertelfinale auf sein Heimatland.
Innsbruck/Düsseldorf. Varsseveld ist ein Ort mit 6000 Einwohnern unweit der deutschen Grenze. Eine halbe Stunde fährt man mit dem Auto nach Bocholt, auch die Rheinstadt Emmerich liegt nahe.
Der Reiseführer preist Varsseveld wegen seiner schmucken Windmühle, wegen seiner Laurentiuskirche aus dem 16. Jahrhundert und wegen eines ungewöhnlichen Museums an der Spoorstraat, das seit 2002 Ziel von Touristen aus aller Welt ist.
Das "Guuseum" versammelt allerhand Erinnerungsstücke aus der Karriere des berühmtesten Sohns des Ortes, Guus Hiddink. Die Verehrung für den Fußball-Lehrer aus den Niederlanden fußt auf einer Erfolgsgeschichte, die mit dem 2:0 von Hiddinks Russen gegen Schweden um ein weiteres Kapitel bereichert wurde.
In Südkorea ist er noch heute ein Volksheld, weil er die unterlegene Mannschaft 2002 auf den vierten Platz der WM navigierte. Vier Jahre später schaffte er es mit dem Fußballentwicklungsland Australien ins Achtelfinale. Und jetzt steht er mit den Russen in der Runde der letzten Acht.
1988 standen sie dort zum letzten Mal. Damals hieß das Land noch Sowjetunion, und die Stars hießen Belanow und Michajlitschenko und kamen aus der heutigen Ukraine. Der Gegner im Endspiel: die Niederlande.
Hiddinks Erfolg ist umso erstaunlicher, wenn man bedenkt, dass er abgesehen von seinem Heimatland noch nie eine große Mannschaft zu einem Turnier geführt hat - und doch überstand er immer die Vorrunde.
Seine Bilanz als Nationaltrainer überstrahlt die des Vereinstrainers Hiddink, zumindest was seine Auslandsbilanz angeht. Zwar gewann er mit dem PSV Eindhoven sechsmal die Meisterschaft und viermal den Pokal, zudem 1988 den Europapokal der Landesmeister.
Danach jedoch hatte er auf seiner Tournee durch Europas Topklubs kein Glück mehr. Bei Fenerbahce Istanbul blieb er nur ein Jahr ohne einen Titel zu gewinnen (1990/91). Mit dem FC Valencia unterlag er dem Karlsruher SC mit 0:7. Auch bei Real Madrid und Betis Sevilla musste er seinen Spind mangels Erfolg schon nach kurzer Zeit wieder räumen.
Als Entwicklungshelfer in Sachen Fußball ist Hiddink jedoch unerreicht. Den schnellen und spielstarken Russen hat er das optimale System verordnet. Gegen Schweden zeigten sie, wie moderner Tempofußball aussieht. Mit wenigen präzisen Pässen und hohem läuferischen Aufwand überbrückten Arschawin & Co. den Platz in Sekundenschnelle, ließen die schwedischen Abwehrrecken wie Hobbykicker aussehen.
"Ich bin sehr stolz auf meine Mannschaft", sagte Hiddink, der seinem Team nach dem 1:4 im ersten Spiel gegen Spanien noch Naivität attestiert hatte. "Sie hat innerhalb sehr kurzer Zeit einen riesigen Fortschritt gemacht. Das war mehr als nur Fußball." Einziger Schönheitsfehler: Hiddinks Mannen hätten mindestens fünf Tore erzielen müssen.
In Russland träumen sie derweil schon von weiteren Heldentaten. "Jetzt können wir gegen jede europäische Mannschaft siegen", schrie ein russischer TV-Kommentator nach dem letzten Gruppenspiel in sein Mikrofon. So stark sei die "Sbornaja" seit Jahren nicht gewesen.
"Guus Hiddink ist ein Zauberer", schrieb Moskowskij Komsomolez. Ein Zauberer, der sich seine Dienste gut honorieren lässt. Sein Jahresgehalt soll bei zwei Millionen Euro netto liegen. Für den Einzug ins Viertelfinale gibt es 500 000 Euro extra. Hiddink kennt seinen Preis und weiß, dass der Erfolg die Summen diktiert, die auf seinem Konto landen.
Die Russen zahlen im Moment gerne - sie haben das Geld. Bis 2010 läuft Hiddinks Vertrag. Ob er ihn erfüllt, ist noch offen. Das Fernziel des Verbands ist der Sieg bei der EM 2012. Ob mit oder ohne Hiddink.
Im Viertelfinale morgen in Basel warten erstmal die Niederlande, einer der Turnierfavoriten. "Ich kenne den Trainer, viele Spieler, das ist keine normale Partie für mich", sagt Hiddink. Bereits zu Jahresbeginn standen sich beide Mannschaften gegenüber. Oranje gewann mit 4:1 und erteilte den jungen Russen eine Lehrstunde.
"Eine Stunde", erinnert sich der 61-jährige Hiddink, "konnten wir sie stoppen, länger nicht." Seine Tiefstapelei hat ihm bislang nicht geschadet. Auch gegen Schweden hat er seine Elf als Außenseiter bezeichnet. Zwischen Königsberg und Wladiwostok werden sie wieder die Daumen drücken - und nach Varsseveld pilgern, wenn ihr EM-Traum noch länger andauert.