Analyse: Ein Kranz aus Berlin für Odessa

Odessa/Kiew (dpa) - Die Treppe vor dem Gewerkschaftshaus von Odessa ist noch voller Ruß. Auch die Fenster sind noch schwarz. Die Blumen draußen hingegen bleiben frisch. So schnell verwelkt Trauer nicht.

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Zu Beginn des Monats kamen hier in der Millionen-Metropole am Schwarzen Meer mindestens 48 Ukrainer ums Leben, als sich Pro-Russen und Pro-Europäer stundenlange Straßenschlachten lieferten. Am schlimmsten war es im Gewerkschaftshaus, wo viele Russland-Anhänger elendig verbrannten oder aus Angst vor den Flammen in den Tod sprangen.

Zwölf Tage nach der Katastrophe hat sich nun erstmals Besuch aus dem Westen angesagt: Frank-Walter Steinmeier. Den Kranz, mit dem der Opfer gedacht werden soll, hat der Außenminister aus Berlin mitgebracht. Morgens stand das Blumengebinde mit der schwarz-rot-goldenen Schleife noch in Tegel, eingepackt in Zellophan. Steinmeier ist der erste Politiker aus dem Ausland, der solch eine Geste macht. Auch ein Weg, „Brücken zu schlagen über die verschiedenen Lager hinweg“, wie der SPD-Mann das nennt.

Odessa mit den vielen Platanen-Alleen und der berühmten Treppe aus dem Filmklassiker „Panzerkreuzer Potemkin“ war früher eine der schönsten Städte der Sowjetunion, damals vergleichsweise weltoffen und tolerant. Jetzt ist sie zu einem der Symbole für die Tragödie geworden, die sich gerade in der Ukraine ereignet.

Begonnen hatte alles am Nachmittag des 2. Mai, als mehrere Tausend Fußballfans für ein Spiel am Abend in der Innenstadt unterwegs waren. Zugleich gab es eine Demonstration von Anhängern der Maidan-Revolution. Ihnen zogen mehrere Hundert Befürworter einer Föderalisierung der Ex-Sowjetrepublik entgegen. Irgendwann, warum auch immer und von wem, flogen die ersten Steine.

Wie es dann zu der furchtbaren Brandkatastrophe kam, ist bis heute nicht geklärt - genauso wenig wie die Frage, wer für die vielen Toten im Februar auf dem Maidan in Kiew die Verantwortung trägt. Fest steht, dass die Polizei untätig zusah, wie Molotow-Cocktails in das verbarrikadierte Haus flogen. In den Krankenhäusern von Odessa liegen noch etwa 60 Verletzte, einige in äußerst kritischem Zustand. 48 Menschen gelten offiziell noch als vermisst.

Das meint Steinmeier, wenn er vom „Irrsinn“ in der Ukraine spricht. Jetzt geht es auch darum, mäßigend auf die verschiedenen Lager einzuwirken. Vor dem Besuch in Odessa, wo er erst am Nachmittag erwartet wurde, traf er sich in Kiew deshalb abermals mit Übergangs-Ministerpräsident Arseni Jazenjuk und auch mit dem Milliardär Rinat Achmetow, der als zentrale Figur im separatistischen Osten gilt. Achmetow behauptete wieder, den Separatisten kein Geld zuzustecken.

Wichtigstes Ziel für die nächsten Tage ist nun, die Präsidentenwahl am 25. Mai einigermaßen ordentlich über die Bühne zu bringen. Befürchtet wird, dass die moskautreuen Milizen im Osten und Süden verhindern, dass Leute, die wählen wollen, zur Abstimmung gehen. Steinmeier formuliert vorsichtig: „Ich hoffe, dass die Wahl so stattfindet, dass es anschließend gelingt, eine nach vorn gerichtete Atmosphäre vorzufinden.“ Deutschland will dazu auch mehrere Dutzend Wahlbeobachter schicken.

Anderthalb Wochen sind noch Zeit. Die Hoffnung ruht nun darauf, dass - allen Unabhängigkeits-Referenden zum Trotz - endlich so etwas wie ein „Nationaler Dialog“ in Gang kommt. An diesem Mittwoch soll es, auf Steinmeiers Initiative und ein wenig auch nach deutschem Vorbild, in Kiew erstmals einen „Runden Tisch“ geben, der die zerstrittenen Lager miteinander ins Gespräch bringt. Aber gewiss ist das noch nicht.

Einer der beiden Vorsitzenden soll Wolfgang Ischinger werden, einer von Deutschlands erfahrensten Diplomaten, bestellt von der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE). Aus der Ukraine soll ein Ex-Präsident an seiner Seite agieren. Im Gespräch sind Leonid Kutschma und Leonid Krawtschuk, die beiden ersten Staatschefs nach der Unabhängigkeit von der Sowjetunion. Jazenjuk ließ aber auch nach seinem Treffen mit Steinmeier offen, wen seine Regierung nominieren wird. Nur soviel: „Wir haben einige frühere Präsidenten. Es wird der Beste sein.“