Fragen und Antworten: Was wusste der Verfassungsschutz?
Berlin (dpa) - Die Neonazi-Mordserie gibt weiter Rätsel auf. In den Ermittlungen gegen die Thüringer Rechtsextremisten sind immer noch viele Fragen offen. Auch wenn täglich neue Details bekanntwerden - das Puzzle passt an vielen Stellen nicht zusammen.
Einige offene Fragen im Überblick:
Was wusste der Verfassungsschutz?
Das ist derzeit wohl die brisanteste Frage. Nicht nur der Thüringer Verfassungsschutz, der das Trio aus Jena 1998 angeblich aus den Augen verlor, sondern auch das hessische Landesamt steht in der Kritik. Laut „Bild“-Zeitung soll ein Verfassungsschützer der Behörde an sechs Tatorten gesehen worden sein. Laut Sicherheitskreisen ist das zurzeit aber nicht zu belegen. In Medienberichten heißt es, der Mann habe aber zumindest 2006 in Kassel in dem Internetcafé gesessen, in dem ein 21-jähriger Türke erschossen wurde. Der Vorsitzende des parlamentarischen Gremiums zur Kontrolle der Geheimdienste, Thomas Oppermann, sieht auch dafür derzeit keine Belege: Nach dem bisherigen Stand der Ermittlungen habe der Mann den Ort kurz vor der Tat verlassen, sagte der SPD-Politiker am Dienstag.
Wieso wurde das Trio nicht früher festgenommen?
Das soll jetzt noch einmal untersucht werden. Denn es stellt sich die Frage, wie es dazu kommen konnte, dass die drei Rechtsextremisten nicht schon 1998 festgenommen wurden. Damals war das Trio bereits als Bombenbauer aufgefallen: Die Polizei hatte bei den drei Neonazis vier Rohrbomben mit dem militärischen Sprengstoff TNT gefunden. Vor der Verhaftung tauchen die drei jedoch ab. Auch Zielfahnder des Landeskriminalamtes konnten sie angeblich nicht aufspüren, so dass die Staatsanwaltschaft Gera die Ermittlungen 2003 wegen Verjährung einstellte.
Hatten die Täter Unterstützer?
Bislang sind zwei mutmaßliche Komplizen bekannt. Bereits am Sonntag wurde der 37 Jahre alte Holger G. aus dem Raum Hannover festgenommen, am Montag erging Haftbefehl gegen ihn. Er soll dem Trio 2007 seinen Führerschein und vor etwa vier Monaten seinen Reisepass zur Verfügung gestellt und mehrfach Wohnmobile für die Gruppe angemietet haben.
Nach Informationen des ARD-Magazins „Fakt“ hatten die Gruppe auch in Sachsen einen Unterstützer. Der Neonazi Matthias D. soll die Wohnung in Zwickau angemietet haben, in der die Verdächtige Beate Zschäpe von Frühjahr 2001 bis Sommer 2008 unter falschem Namen lebte. Zudem sei der 34-Jährige nach Angaben des Vermieters auch alleiniger Mieter jener Wohnung gewesen, in der Zschäpe mit ihren Komplizen Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos zuletzt Unterschlupf fand. Jetzt stellt sich die Frage: Waren das alle Komplizen? Wohl nicht: „Es gibt Hinweise auf weitere Helfer“, sagte Oppermann am Dienstag.
Wer steckt noch dahinter?
Auch darüber lässt sich bislang nur spekulieren. Steckt hinter der Gruppe ein rechtes Netzwerk? Oder waren die drei womöglich Informanten des Verfassungsschutzes? Das würde erklären, warum die Rechtsextremisten mehr als ein Jahrzehnt lang unbehelligt blieben. Der Ex-Präsident des Thüringer Verfassungsschutzes, Helmut Roewer, weist dies zurück. Die drei seien keine Quellen des Amtes gewesen, versichert er. Auch Gerüchte über amtliche Falschpapiere seien nach seiner Kenntnis falsch. In einem Medienbericht war über „legale, illegale Papiere“ für das Trio spekuliert worden. Solche Dokumente stellen Behörden etwa verdeckten Ermittlern oder Kronzeugen aus, die eine neue Identität in Zeugenschutzprogrammen bekommen.
Warum haben sich die Täter nicht zu ihren Morden bekannt?
Das ist eine weitere Unbekannte in diesem Fall. Gerade das inzwischen aufgetauchte Bekennervideo der Terrorzelle „Nationalsozialistischer Untergrund (NSU)“ gibt viele Rätsel auf. Vermutlich wurde die Propaganda-DVD schon 2007 produziert. Das könnte darauf hindeuten, dass die Täter schon länger an die Öffentlichkeit gehen wollten. Aber warum wurde der Film dann nicht früher an die Öffentlichkeit gegeben? Und wer hat die DVD jetzt verschickt - war es Beate Zschäpe? Sie hätte zumindest die Zeit dazu gehabt. Denn sie war vier Tage lang abgetaucht, bevor sie sich in Begleitung eines Anwalts bei der Polizei in Jena stellte.
Wie sind Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos umgekommen?
Auch ihr Tod wirft Fragen auf: War es Selbstmord? Und wenn ja: Warum haben sie sich erschossen? Merkwürdig ist auch, dass einer der beiden laut „Bild“-Zeitung durch einen Schuss mit einer Gewehrkugel in die Brust umgekommen sein soll. Nur: Wie schießt man sich selbst mit einem Gewehr in die Brust?