Merkel und die „Monti-Show“: Die lange Nacht von Brüssel

Brüssel (dpa) - Es war bereits weit nach Mitternacht, und die Staats- und Regierungschefs der Eurozone hatten sich richtig festgefahren.

Die bittere Niederlage der deutschen Mannschaft bei der Fußball-EM gegen Italien lag gerade ein paar Stunden zurück, und Deutschland und Italien waren schon wieder auf Konfrontationskurs. Es ist nicht anzunehmen, dass Italiens Ministerpräsident Mario Monti erhebliches Aufsehen von der deutschen Schmach machte, denn er gilt nicht als großer Fußballfan. Eher schon als gewiefter Taktiker mit viel Erfahrung in EU-Angelegenheiten.

Jedenfalls trafen Monti und Bundeskanzlerin Angela Merkel mehrmals zu kurzen Vieraugengesprächen zusammen. „Wir haben uns auch noch ein bisschen mit Fußball beschäftigt“, berichtete Merkel später. Kurz danach signalisierten Gipfelteilnehmer per SMS Bewegung beim Thema Bankenaufsicht. Da war es knapp 3.00 Uhr. Noch einmal 90 Minuten später war alles vorbei, und Ratspräsident Herman Van Rompuy legte ein ebenso kurzes wie unerwartet gehaltvolles Einigungspapier vor. Da wurde es schon hell in Brüssel.

Merkel hatte eingelenkt, ob dies nun aber die zweite deutsche Niederlage dieser Nacht war, wird nicht nur von deutschen Regierungskreisen bestritten. Die Kanzlerin war zwar am Morgen nach kurzer Verschnaufpause auffällig bemüht, die Kontinuität ihrer Politik zu betonen. „Wir sind unserer Philosophie treu geblieben“, sagte sie, erstaunlich munter, bei der Rückkehr an den Gipfelort.

Allerdings hatten Spanien und vor allem Italien in den nächtlichen Verhandlungen erheblichen Druck gemacht. Beobachter sprachen von einer „Monti-Show“ des italienischen Premiers, manche gar von Erpressung. Denn die beiden Länder blockierten den schon sicher geglaubten und weitgehend unstrittigen Wachstumspakt, den Merkel und Monti gemeinsam mit Spanien und Frankreich erst vor einer Woche in Rom schon verkündet hatten. Doch in der Zwischenzeit waren die italienischen und spanischen Zinsbelastungen noch einmal in die Höhe geschnellt. Irgendetwas musste geschehen.

Am Ende war es ein nur gut einseitiges Papier der 17 Euromitglieder, das deutliche Signale an die Märkte sandte. Der Zugang zu den Milliarden der Rettungsfonds EFSF und ESM wird erleichtert, allerdings nur, wenn die Länder die Verpflichtungen aus dem Stabilitäts- und Wachstumspakt einhalten. Eine „flexible und effiziente Nutzung“ der vorhandenen Instrumente wird vereinbart. Die Europäische Zentralbank EZB wird damit weiter gestärkt.

Mit der Schaffung einer gemeinsamen Bankenaufsicht wird es maroden Banken künftig ermöglicht, sich direkt aus Mitteln des Rettungsfonds zu rekapitalisieren. Eine Vergemeinschaftung der Schulden, gar die von Merkel so massiv abgelehnten Eurobonds, sind bei dem Paket aber nicht dabei. „Heute Nacht ist kein Beschluss in diese Richtung gefasst worden“, betonten deutsche Regierungskreise.

Besonders Spanien könnte von der Einigung profitieren. Am Freitag reagierten die Finanzmärkte zunächst positiv auf die Gipfelbeschlüsse, einen anhaltenden Effekt erwartet aber kaum jemand. Das Vertrauen in den Euro lässt sich nur langfristig wieder zurückgewinnen.

Schritte zur weiteren Machtverlagerung nach Brüssel, wie sie die Vierergruppe um Ratspräsident Herman van Rompuy gefordert hatte, wurden diesmal nicht ausführlich diskutiert. Zu zwingend waren wieder einmal die kurzfristigen Notwendigkeiten, die Italien und Spanien mit aller Macht auf die Tagesordnung setzten.

Merkel sei nicht isoliert gewesen in Brüssel, sagt auch Luxemburgs Jean-Claude Juncker, der nun doch wieder Chef der Eurogruppe werden soll, nachdem Finanzminister Wolfgang Schäuble nicht gegen den Widerstand des französischen Präsidenten François Hollande durchgesetzt werden konnte. Der Franzose hielt sich beim Krisengipfel auffällig zurück. Die Zeiten ändern sich in Europa, die Kräfteverhältnisse auch.

Merkels langjähriger Partner Nicolas Sarkozy ist im Ruhestand. „Dieser Gipfel hat Merkozy auf Wiedersehen gesagt“, stellte der Fraktionschef der Sozialisten im Europaparlament, der Österreicher Hannes Swoboda, fest. Neue Akteure schieben sich in den Vordergrund. Schon am Mittwoch trifft Merkel wieder mit „Super-Mario“ Monti zusammen. Mit mehreren Ministern fliegt sie nach Rom, zum dritten Mal in diesem Jahr. Und vielleicht gibt es ja schon im Juli einen weiteren EU-Gipfel. Von Fußball wird dann nicht mehr die Rede sein.