Politischer Aschermittwoch Söder-Show, SPD-Wirren und eine „Wir-schaffen-das“-Kanzlerin
Demmin/Schwerte (dpa) - Wie spektakulär sich die politische Lage doch binnen eines Jahres ändern kann. 2017, da kamen die SPD-Anhänger noch zu Tausenden zum politischen Aschermittwoch, um ihren Hoffnungsträger Martin Schulz zu feiern.
Und bei der CSU, da war Horst Seehofer der Hauptredner, sein Rivale Markus Söder musste an einem der vielen Biertische Platz nehmen. Ein Jahr später fehlen Schulz wie Seehofer - Schulz nach seinem rasanten politischen Absturz, Seehofer wegen eines grippalen Infekts.
Nur bei Angela Merkel ist es fast wie immer: Der Auftritt beim 23. Aschermittwoch der Nord-Ost-CDU in Demmin ist am Abend ein Heimspiel für die angeschlagene Kanzlerin.
Doch zuerst zu Söder, der bald Seehofers Nachfolger als bayerischer Ministerpräsident werden soll. Es ist eine Söder-Show in Passau: Der künftige Regierungschef versucht vor allem, die konservative CSU-Seele zu streicheln, um der AfD das Wasser abzugraben. Söder will die christliche Prägung Bayerns in der Landesverfassung verankern und in allen staatlichen Gebäuden Kreuze aufhängen. Besonders groß ist der Applaus, als er ruft: „Wer glaubt, dass der Islam oder sogar die Scharia zu unserm Land gehört, da kann ich nur sagen: Diese haben kulturgeschichtlich nichts mit Bayern zu tun.“
Die SPD hat ein paar Kilometer weiter ordentlich zu kämpfen: Dort muss Olaf Scholz ran, der Hamburger Bürgermeister und frisch ernannte kommissarische SPD-Vorsitzende. Welch ungleiches Rededuell: Bayerischer Bierzelt-Profi gegen kühlen Hanseaten.
Vor einem Jahr gab es noch Euphorie bei der SPD im niederbayerischen Vilshofen, nicht enden wollenden Jubel für Kanzlerkandidat Schulz. Jetzt bekommt auch Scholz seinen Beifall. Aber richtig in Wallung versetzen kann der eher nüchtern auftretende Jurist das volle Bierzelt nicht. Scholz wirbt vor dem SPD-Mitgliederentscheid um Zustimmung, spricht von Zeitfenstern der Mitgestaltung, von der Verantwortung, in der die SPD stehe, von der deutlichen sozialdemokratischen Handschrift im Koalitionsvertrag. Den jungen Leuten, die mit „NoGroko“-Plakaten protestieren, ruft er zu: „Man muss sich ja nur die Diskussion in der Union anschauen, dass wir es richtig hinbekommen haben.“
Die CDU-Chefin hat es dann im Tennis- und Squash-Center von Demmin am Abend leichter - auch wenn ihre Reden ja ebenfalls als meist ziemlich spröde verschrieen sind. Keine Spur von Kritik gibt es an Merkels Taktik bei den Koalitionsverhandlungen mit der SPD. Mit rhythmischem Klatschen wird die Kanzlerin zum 21. Auftritt beim Aschermittwoch im kühlen Norden begrüßt. Merkel bedankt sich mit einem „Wunderbar, zuhause zu sein“ - und die Zuhörer johlen dankbar.
Keine Spur vor Zerknirschtheit lässt Merkel nach der internen Kritik erkennen, sie habe das wichtige Finanzministerium den „Sozis“ überlassen müssen. Im Gegenteil, sie wählt den Gegenangriff als Reaktion: Ein wenig sei sie ja schon verwundert, dass es nichts mehr zähle, dass die CDU wieder das Wirtschaftsministerium besetzt, ätzt sie süffisant gegen die Kritiker. Man werde das Ressort wieder zu einer Stätte machen, in der man stolz sei auf Ludwig Erhard, den Vater des „Wirtschaftswunders“.
Viel redet Merkel von Verantwortung - für Deutschland, Europa, die Welt. An die anderen Parteien - und wohl gerade an die SPD im Umbruch - appelliert die CDU-Chefin, es entscheide sich nun, ob man die Kraft aufbringe, gemeinsame Stärken zu entwickeln „oder ob wir uns verheddern, ob wir stecken bleiben, ob wir permanent nur über das reden, was uns nicht gelingt“. Es müsse jetzt darum gehen, dass es Deutschland dort besser gehe, wo es noch nicht gut sei, ruft Merkel in die Halle. Und ziemlich kokett wiederholt sie zum Schluss sogar einen Ausspruch, der ihr in der Flüchtlingskrise immer wieder angekreidet worden war: „Ich bin überzeugt: Wir schaffen das.“
Gut 460 Kilometer Luftlinie entfernt macht sich Andrea Nahles fast zur gleichen Zeit wie Merkel daran, beim ersten Auftritt nach der Nominierung für den Parteivorsitz die „Herzkammer“ der Sozialdemokratie für sich zu gewinnen. Im „Freischütz“ in Schwerte, wo nach dem Zweiten Weltkrieg die Neugründung des SPD-Bezirks Westliches Westfalen stattfand, beginnt für sie der Neustart einer tief verunsicherten Partei.
Nahles hat nach den vergangenen Wochen kaum noch eine Stimme. Vor klassischem SPD-Publikum - viele Genossen über 60, Mettigel und Frikadellen auf dem Tisch, dazu Pils - heizt sie die Stimmung mit Seitenhieben auf Merkel an. Merkel sei in ihrer eigenen Partei „angezählt“, ruft die SPD-Fraktionschefin heiser in den Saal. Wenn die SPD ihre Erneuerung schaffe, habe sie wieder die Nase vorne. Nach den parteiinternen Querelen wirbt Nahles um Zusammenhalt in der SPD für eine Erneuerung: „Ich kann das nicht alleine schaffen, wir müssen uns unterhaken.“ Die SPD werde gebraucht - und sie werde selbstbewusst Merkel die Stirn bieten. Mal sehen, wie das aussieht, wenn der Aschermittwochs-Kater verflogen ist.