Alan Greenspan: Der Mythos verblasst

Porträt: Viele Experten geben dem früheren US-Notenbankchef eine Mitschuld an der aktuellen Finanzkrise.

Washington. Die Königin von England hat ihn zum Ritter geschlagen, in Biografien wurde er als "Maestro" oder gar als "der Hohepriester des Geldes" gefeiert, und rund um den Globus wird Alan Greenspan auch heute noch der rote Teppich ausgerollt, wenn er anreist, um bei pikfeinen Dinnerveranstaltungen vor Staatschefs und internationalen Wirtschaftsbossen über den Zustand der Weltwirtschaft zu referieren.

In dem USA aber ist nicht nur das Mythos des legendären Notenbankchefs mittlerweile verblasst. Eine wachsende Zahl von Ökonomen und Politikern geben ihm sogar die Schuld an jener Finanzkrise, die Amerikas Konjunktur bedroht und seit Monaten die Weltmärkte in Mitleidenschaft zieht.

Dieser Tage ist der 82-Jährige insbesondere damit beschäftigt, sein Vermächtnis zu retten, bisher allerdings ohne Erfolg. Deutlicher als der frühere Nobelpreisträger Joseph Stiglitz kann man kaum werden. "Es besteht kein Zweifel, dass Alan Greenspan die globale Finanzkrise auf dem Gewissen hat", so der hochangesehene Nationalökonom, der unter anderem Chefvolkswirt bei der Weltbank war. Stiglitz kritisiert jene Serie von Zinssenkungen, die unter Greenspans Regie nach dem Zerplatzen der "Dot Com Blase" durchgesetzt wurden und in 2003 schließlich den Leitzins auf 1,0 Prozent drückten.

Mit der Verbilligung des Geldes habe die Notenbank den Markt mit Liquidität überflutet, die Banken und Kreditmakler dazu verleitete, billige Häuserdarlehen anzubieten. Als die Immobilienpreise in schwindelerregende Höhen stiegen schossen dann sogenannte "Subprime Kredite" wie Pilze aus dem Boden, die als Ursache der aktuellen Finanzkrise angesehen werden.

Stiglitz und andere Kritiker stellen fest, dass Greenspan zum einen mit seiner Politik des billigen Geldes den Weg gepflastert habe für jene kolossalen Exzesse, die früher oder später zu dem unweigerlichen Zerplatzen der Preisblase am Häusermarkt führen mussten.

Wie der Wirtschaftsprofessor und Schriftsteller Ravi Batra zudem sagt, habe der frühere Notenbankchef insgesamt ein Dutzend Mal Bemühungen seitens des Kongresses, der Börsenaufsicht SEC sowie anderer Regulierungsbehörden blockiert, den außer Rand und Band laufenden Markt für Häuserkredite besser zu überwachen. In 2004 behauptete Greenspan in einer Rede sogar, dass jene unseriösen Hypothekendarlehen mit variablen Zinssätzen, die sich von Jahr zu Jahr progressiv verteuern, "gut für Verbraucher und Eigenheimbesitzer sind." Allein dieses Jahr stehen aber mehr als zwei Millionen Amerikaner, die sich auf derartige Kreditverträge einließen, vor der Zwangspfändung ihrer Immobilie.

Batra schrieb eine vielbeachtete Biografie des früheren Notenbankchefs, die einen starken Kontrast darstellt zu den früheren Lobgesängen auf den Ex-Währungshüter. In dem Buch "Greenspans Betrug" beschreibt er, wie ein Mann, der 1987 nur Präsident Reagans zweite Wahl für den Job war, an der Wall Street mit seinem eigenen Beratungsunternehmen als Wirtschaftsprognostiker eine Karriere gemacht hatte, aber über keinerlei Erfahrung als Banker verfügte, zwei Jahrzehnte lang systematisch den "amerikanischen Traum" zerstört habe.

Seine Karriere habe die von drei Präsidenten überdauert, und er habe als erzkonservativer Ideologe "die Mittelklasse ausgenommen, die wohlhabendsten Amerikaner bereichert und um jeden Preis die Industrie und die Wirtschaftsbosse geschützt." Dies komme nicht zuletzt in seiner Unterstützung jener unter Bush verabschiedeten Steuerreformen zum Ausdruck, die nach übereinstimmender Meinung von Ökonomen fast ausschließlich die oberen Zehntausend begünstigten.

Dieser Tage ist Alan Greenspan mit Kommentaren in den US-Medien wieder präsent und lässt keine Gelegenheit aus, seine Hände in Unschuld zu waschen. Seine Theorie: Jene Exzesse, die zum Finanzcrash führten, seien vielmehr das Ergebnis zunehmender Globalisierung nach dem Ende des Kalten Krieges und der Integration der osteuropäischen und asiatischen Schwellenländer in das weltwirtschaftliche Gefüge. Billige Arbeitskräfte hätten das globale Lohnniveau gedrückt, die Preise runtergezogen und den Weg gepflastert für niedrige Zinsen. Eine Theorie, die immer weniger Abnehmer findet.