Bayer-Krise Abbau von Arbeitsplätzen - Jetzt zittert die Bayer-Forschung in Wuppertal

Wuppertal · In Wuppertal steht zu befürchten, dass es nicht allein beim Verlust der 350 Arbeitsplätze aus dem Faktor-VIII-Projekt bleibt. Aber Klarheit verspricht erst eine Versammlung am Donnerstag.

Die Übernahme von Monsanto wird von den Beschäftigten als eine der Ursachen für den Personalabbau gesehen.

Foto: JA/Fischer, A. (f22)

Nein, ein lärmender Protestzug ist das nicht, der sich am Montagmittag um 12.30 Uhr in Bewegung setzt. Die Bayer-Mitarbeiter, die sich vor dem Betriebsrestaurant des Werks in Wuppertal-Elberfeld versammelt haben, halten Plakate hoch (“Gute Arbeit sind wir“), es gibt ein paar Trillerpfeifen, aber Parolen sind nicht zu hören.

Und mit der Presse mag in der gedrückten Stimmungslage auch kaum einer sprechen. Nur einmal brandet Applaus auf: als an einer Straßeneinmündung der zweite Zug der Beschäftigten des Forschungs- und Entwicklungszentrums in Wuppertal-Aprath dazustößt. Dann mögen es zusammen 800 Demonstranten sein, vielleicht auch tausend. Genug jedenfalls, um für die bestbesuchte Betriebsversammlung seit Jahren zu sorgen.

Vor dem Elberfelder Bayer-Werk formiert sich am Mittag der Protestzug der Mitarbeiter, um von dort zur Betriebsversammlung zu ziehen.

Foto: Fischer, A. (f22)

Als diese eine Stunde nach Demonstrationsbeginn in der Bayer-Sporthalle Rutenbeck startet, ist die Öffentlichkeit ausgeschlossen. Drinnen informiert Vorstandsvorsitzender Werner Baumann per Videoschaltung über Details des geplanten Abbaus von weltweit 12 000 Stellen. Und vor Ort steht Hartmut Klusik, Arbeitsdirektor der Bayer AG, Rede und Antwort. In Wuppertal kursierten schon vorher zahlreiche Gerüchte: Denn obwohl auch in Aprath gerade in ein siebenstöckiges Laborgebäude investiert wird, das Ende 2019 in Betrieb genommen werden soll, sind auch im Bereich Forschung und Entwicklung weltweit 900 Stellen Teil des Streichpakets. In Deutschland müssen die beiden großen Standorte Berlin und Wuppertal zittern.

Hunderte Bayer-Mitarbeiter demonstrieren in Wuppertal
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Foto: JA/Fischer, A. (f22)

Spekulationen über bis zu 800 Arbeitsplatzverluste

Allein im Bergischen, heißt es aus der Belegschaft, fürchtet man einen zusätzlichen Stellenabbau in der Größenordnung von Faktor VIII. Das würde für Wuppertal in der Summe 700 bis 800 Arbeitsplätze weniger bedeuten – bei derzeit rund 3400 Bayer-Beschäftigten. Das wäre ein Minus von mehr als 20 Prozent.

Aber als der Wuppertaler Betriebsratsvorsitzende Michael Schmidt-Kießling nach dem Ende der Versammlung vor die Halle tritt, kann er in diesem Punkt noch nicht für Klarheit sorgen. „Die Zahlen sind heute nicht genannt worden. Sie sind uns für Donnerstag versprochen.“ Dann soll es eine weitere Versammlung nur für den Forschungs- und Entwicklungsbereich geben, bei dem sowohl Zahlen für Deutschland als auch für die einzelnen Standorte genannt werden.

Schmidt-Kießling bezeichnet die Zusicherung, dass es bis Ende 2025 konzernweit keine betriebsbedingten Kündigungen geben wird, als wichtigste Botschaft des Tages. Auch Beschäftigte in der Probezeit müssen nicht bangen, selbst Übernahmezusagen für die Auszubildenden bleiben bestehen. „Zum anderen haben wir deutlich gemacht, dass die Beschäftigten in Wuppertal ihre gute und hoch qualifizierte Arbeit weiter einbringen möchten und der Vorstand in Leverkusen uns auch bitte die Gelegenheit dazu geben soll.“ Das bezieht sich deutlich auf den Forschungsbereich, in dem von Verlagerungen und Outsourcing die Rede ist.

Die Stimmung in der Versammlung beschreibt der Betriebsratsvorsitzende als „gefasst, bedrückt, sehr getragen“. Gerade die Entscheidung zum Faktor-VIII-Projekt habe spürbar alle Mitarbeiter über den Kreis der unmittelbar dort Beschäftigten betroffen gemacht. Seit 2016 war dort schrittweise Anlage für Anlage in den Probebetrieb genommen worden. Gerade ist sie technisch vollständig fertig, nur noch nicht abgenommen. Ein Prozess, der aber weitere zwei Jahre in Anspruch genommen hätte. Grund für die Konzernleitung, die Herstellung in Berkeley (USA) zu konzentrieren, weil sich aufgrund vieler Mitbewerber im Markt die Absatzerwartungen massiv reduziert haben.

Wuppertal zählt damit zu den Standorten, die am schnellsten die Auswirkungen des Stellenabbaus zu spüren bekommen. „Aber ich fürchte, dass alle Standorte gleichermaßen betroffen sein werden, nur zu anderen Zeitpunkten“, sagt Schmidt-Kießling.

Lindh: „Das darf nicht der Preis für steigende Dividenden sein“

Vor der Halle stehen der Wuppertaler SPD-Bundestagsabgeordnete Helge Lindh und sein Landtagskollege Josef Neumann beieinander. Auch wenn erst Donnerstag genaue Zahlen bekannt würden, „klar ist schon jetzt: Innovation, Forschung und Produktion werden aus Wuppertal abgezogen“, sagt Lindh. „Das darf trotz starker Konkurrenz nicht der Preis für kurzfristige Gewinnmaximierung und steigende Dividende sein.“

Die SPD-Landtagsfraktion hat den Vorsitzenden des Bayer-Gesamtbetriebsrats nach Düsseldorf eingeladen. Aber die politischen Einflussmöglichkeiten hält Neumann für beschränkt. Trotzdem: „Ich erwarte vom Arbeitsminister und vom Wirtschaftsminister mehr als nur ein paar warme Worte.“

In der Dämmerung treten die Bayer-Mitarbeiter den Rückweg an – in Richtung des modernen Faktor-VIII-Glaspalastes an der Wupper. Bittere Ironie der Geschichte: 50 Menschen wird er auch künftig noch Arbeit geben. Ihre Aufgabe: das Gebäude zu „konservieren“ – für eine ungewisse Zukunft.