Deutschland am Rande einer Rezession

Führende Wirtschaftsinstitute lobt Rettungspaket der Bundesregierung.

Berlin (dpa). Deutschland steht nach Einschätzung der führenden Wirtschaftsforschungsinstitute am Rande einer Rezession. Die Experten senkten am Dienstag ihre Prognose für das Wirtschaftswachstum im nächsten Jahr drastisch von 1,4 auf 0,2 Prozent. Falls die Finanzkrise voll auf die produzierende Wirtschaft durchschlagen sollte, wäre sogar ein Minus von 0,8 Prozent möglich. Ein großes Konjunkturprogramm lehnen die Institute jedoch ab. Lob gab es für das 500-Milliarden-Hilfspaket der Bundesregierung für Finanzinstitute. Wegen der Bankenkrise brach das ZEW-Stimmungsbarometer zu den Konjunkturerwartungen deutlich ein.

Zum Rettungspaket sagte Udo Ludwig vom Institut für Wirtschaftsforschung Halle: "Die Aufgabe ist extrem schwierig. Grundsätzlich stimmt die Richtung." Die Regierung müsse darauf achten, dass die Steuerzahler so wenig wie möglich belastet würden.

Die Institute sind grundsätzlich zuversichtlich, dass die staatlichen Rettungspakete rund um den Globus die Bankenwelt stabilisieren können. Mit der Entschärfung der Finanzkrise dürfte sich ab Mitte 2009 die Weltkonjunktur allmählich erholen, heißt es im Herbstgutachten. Wirtschaftsminister Michael Glos (CSU) legt am Donnerstag die neue Schätzung der Regierung zur Konjunkturentwicklung 2009 vor. Beobachter gehen von einem Wert nahe Null aus.

Für 2008 bestätigten die Forscher ihre Prognose von 1,8 Prozent. Ein umfassendes Konjunkturprogramm - wie es Gewerkschaften und auch Koalitionspolitiker fordern - sei wenig erfolgversprechend, sagte Ludwig. Sinnvoll seien niedrigere Sozialabgaben, eine Reform der Einkommensteuer und schnellere Investitionen in Bildung, Forschung und Infrastruktur. Grundsätzlich dürfe das Ziel ausgeglichener Haushalte aber nicht aufgegeben werden.

Der Chefökonom des Kieler Instituts für Weltwirtschaft (IfW), Prof. Joachim Scheide, sagte, die Bürger müssten entlastet werden, um das Wachstum zu stärken. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und Finanzminister Peer Steinbrück (SPD) mussten wegen des riesigen Banken-Pakets einräumen, dass 2011 entgegen den bisherigen Planungen ein Bundeshaushalt ohne neue Schulden nicht mehr erreichbar ist.

In einem "Risikoszenario" warnen die Institute davor, dass bei einem Einbruch der Weltwirtschaft und einer dauerhaften Finanzkrise die Wirtschaftsleistung 2009 im Jahresschnitt sogar um 0,8 Prozent schrumpfen könnte. Damit geriete Deutschland in eine ausgeprägte Rezession, wie sie nach den Ölpreisschocks in den 1970er Jahren und zu Beginn der 1980er Jahre zu beobachten gewesen sei. Dieses "Worst- Case"-Szenario, also der schlimmste anzunehmende Fall, sei zwar unwahrscheinlich. "Das Risiko, dass die geschilderte ungünstigere Entwicklung eintritt, hat sich in den vergangenen Wochen aber vergrößert", schreiben die Experten.

Im nächsten Jahr dürfte die schwächere Weltwirtschaft gerade den Exportweltmeister Deutschland treffen. Der Job-Boom läuft den Experten zufolge im nächsten Jahr aus. "Am Jahresende werden rund 350 000 Menschen weniger beschäftigt sein als zu Jahresbeginn", heißt es im Gutachten. Die Arbeitslosenquote werde 2008 und 2009 voraussichtlich aber konstant bei 7,5 Prozent liegen. Wegen sinkender Energiepreise werde die Preissteigerung gebremst. Die Inflationsrate gehe von 2,8 Prozent in diesem Jahr auf 2,3 Prozent in 2009 zurück.

Unterdessen kostet die Finanzkrise in der Wirtschaft massiv Vertrauen. Das vom Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW/Mannheim) ermittelte Stimmungsbarometer fiel im Oktober im Vergleich zum Vormonat um 21,9 Punkte auf minus 63,0 Punkte. Volkswirte hatten nur einen Rückgang auf minus 51,1 Punkte erwartet. Die Konjunkturerwartungen liegen weiter deutlich unter ihrem historischen Mittelwert von 27,5 Punkten.

Neben dem Finanzgewerbe dürften vor allem die exportorientierten Branchen von der Krise betroffen sein. Zudem müsse damit gerechnet werden, dass die privaten Haushalte angesichts der extremen Unsicherheit ihre Ausgaben zurückfahren. "Die Sorge der Finanzmarktexperten, dass die Krise an den Finanzmärkten auf die Realwirtschaft übergreift, hatte sich verständlicherweise verstärkt", sagte ZEW-Präsident Wolfgang Franz. Die Umfrage des ZEW bei Analysten und institutionellen Anlegern, die vom 29. September bis 13. Oktober lief, war im wesentlichen vor dem Beschluss des Banken-Rettungspakets beendet worden. Das Rettungspaket der Bundesregierung dürfte jedoch helfen, die Situation zu stabilisieren. Laut einer Commerzbank-Studie befindet sich die Wirtschaft nach einhelliger Meinung der Branche bereits "auf dem Weg in die Rezession".