Opel/Magna: Die Entscheidung fiel am frühen Morgen
Einigung in Berlin: Die Vertreter von Regierung und Wirtschaft einigen sich auf einen Plan zur Rettung des angeschlagenen Autoherstellers Opel.
Berlin. Keine 7 Grad. Es ist unangenehm herbstlich kalt vor dem Bundeskanzleramt an diesem Samstagmorgen um halb zwei. Journalisten und Kameramänner, die seit Stunden vor den Sicherheitsschleusen ausharren, rein dürfen sie anders als zu Kanzler Schröders Zeiten nicht, haben sich Schals, Handschuhe und Fleece-Jacken angezogen. Einige warten bei eingeschalteter Standheizung ihren Autos oder rauchen sich die Lage warm.
Andere gehen rüber zum hell erleuchteten Hauptstadthauptbahnhof. In der Hoffnung, dort einen heißen Kaffee zu kriegen. Pustekuchen. In der teuersten Verkehrsdrehscheibe der Republik herrscht Stillstand. Alle Geschäfte haben zu. Ein Glück, dass die Sicherheitsbeamten am Kanzleramt ein Einsehen haben. Im Wartehäuschen, durch das jeder Besucher muss, dürfen sich die Reporter kurz aufwärmen. Es gibt Wasser ohne Kohlensäure. Prost.
Dann, es ist 1.45 Uhr, geht es Schlag auf Schlag. Per SMS dringt eine Ein-Wort-Meldung nach draußen, auf die alle seit über zehn Stunden gewartet haben: "Durchbruch!"
Gegen zwei kommen sie dann endlich raus, begleitet von müde dreinschauenden Männern und Frauen mit Koffern und Aktentaschen. Roland Koch, der hessische Ministerpräsident (CDU), Peer Steinbrück (SPD), der Bundesfinanzminister, und, natürlich, das Gesicht der Wir-retten-Opel-oder-auch-nicht-Story der vergangenen Wochen: Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU). Dass der neue Mann im Wirtschaftsressort etwas hinter Steinbrück geht, sollte kein Zufall sein. Opel geht nicht in die Insolvenz. Der Baron aus Bayern hat verloren - und lässt dem Finanzchef den Vortritt an den Mikrofonen.
Steinbrück, er hat sichtbar gute Laune, rasselt die Details wie immer im Rekordtempo herunter. Dumm für den, der kein Aufnahmegerät dabei hat oder schon im Stehen einschläft. Die drei Eckpfeiler der Einigung sind demnach: ein Vorvertrag ("memorandum of understanding") zwischen General Motors (GM) und dem kanadisch-österreichischen Magna-Konzern, der zusammen mit russischer Hilfe Opel auf die Beine helfen will.
Zweitens: Ein Treuhand-Vertrag, der in Windeseile rechtswirksam umgesetzt werden müsse und, mancher versteht nur Bahnhof, die "dingliche Sicherung" für die Bundesregierung regelt. Drittens: ein "Konsortialvertrag" für jenen so lange umstrittenen staatlichen Überbrückungskredit von 1,5 Milliarden Euro, den es braucht, damit Magna Opel überhaupt retten kann. Steinbrück wirkt nicht zerknirscht, als er sagt: "Sie können sich sicher sein, dass wir uns diese Entscheidung nicht leicht gemacht haben." Wer Detailfragen stellt, wird auf eine Pressekonferenz am Samstagvormittag verwiesen.Alle Teilnehmer des Verhandlungsmarathons, sagt der Norddeutsche, waren sich der Risiken bewusst. "Aber diese Risiken waren abzuwägen auch gegen die Risiken für den Fall, dass Opel insolvent gegangen wäre."
Steinbrück spricht davon, dass den Amerikanern, Opel, GM und Magna unmissverständlich bedeutet worden sei, dass nun das Ende der finanziellen Fahnenstange erreicht ist. "Da wird nichts mehr draufgelegt." Bund und Länder seien nicht erpressbar, Bundestagswahl Ende September hin oder her. Eher am Rande fällt eine Neuigkeit, die wohl noch für Gesprächsstoff sorgen wird: Die Zwischenfinanzierung von 1,5 Milliarden Euro wird binnen von fünf Jahren in eine Bürgschaft im Volumen von 4,5 Milliarden Euro umgewandelt. Viel Geld, wenn man es denn zahlen müsste...
Wirtschaftsminister zu Guttenberg verzieht in diesem Moment die Mundwinkel. Der 37-jährige wirkt, auch wenn er kerzengerade steht und lächelt, deutlich unfroher als gewöhnlich. "Ich bin zu einer anderen Einschätzung der Risiken gekommen", leitet der CSU-Politiker unumwunden sein trotziges Minderheitenvotum ein. Die Botschaft ist eindeutig: Mit mir allein wäre Opel in die Insolvenz geschickt worden. Aber zu Guttenberg wurde, wie, das wird sich in den nächsten Tagen erst rekonstruieren lassen, überstimmt; auch von Kanzlerin Angela Merkel (CDU), die sich die kleine Pressekonferenz unter freiem Himmel spart. Sollen mal die Männer machen.
So kommen dann zu Guttenbergsche Sätze zustande, die noch mehr frösteln lassen: "Es ist eine schwere Risikoabwägung gewesen und eine, die mich zu einem anderen Schluss gebracht hat, aber in der Gesamtschau können wir sie gemeinsam tragen. An dieser Mitgestaltung werde ich mich auch beteiligen." Wie später aus Regierungskreisen durchsickerte, soll zu Guttenberg zwischenzeitlich mit Rücktritt geliebäugelt haben.Dann spricht, Jürgen Rüttgers, der NRW-Ministerpräsident hält sich auffallend an der Seite, Roland Koch (CDU). Auch er lobt das Ergebnis, macht aber klar, dass alles noch nicht in trockenen Tüchern ist, solange die Länderparlamente in Hessen und NRW den Deal nicht mittragen.
Ohne ihr Ja-Wort in den für den morgigen Sonntag geplanten Sondersitzungen der zuständigen Haushaltsexperten, sagt Koch, werde es keinen Kreditvertrag geben können. Und ohne Kreditvertrag kein Treuhandvertrag. Und ohne Treuhandvertrag kein Überleben der Opelstandorte Rüsselheim, Kaiserslautern, Bochum und Eisenach.Von Insolvenz hält Koch gar nichts und setzt zu einer technisch komplizierten Argumentationskette an. Was man davon auf Anhieb begreift: Würde bei Opel das Licht ausgehen, müsste Vater Staat mindestens genauso viel Geld ausgeben, als wenn er dem Unternehmen Kredit gibt, um eine gedeihliche Zukunft zu probieren.
Der Unterschied, so Koch: Im ersten Fall wäre das Geld futsch, im zweiten bestünde die Chance auf Rückzahlung.Das zweite Opel-Mega-Krisentreffen innerhalb von nicht mal 48 Stunden hatte am Freitagnachmittag gegen 16 Uhr begonnen - alles andere als reibungslos. So hat der Europa-Chef des Opel- Mutterkonzerns GM, Carl-Peter Forster, einen handfesten Krach mit der Polizei, als er vor dem Kanzleramt vorfuhr. Details unbekannt. Und die Limousine von Kurt Beck, dem rheinland-pfälzischen SPD-Ministerpräsidenten, wollte anfänglich partout durch das falsche Tor in die Regierungszentrale. Auch verfrühte Medienberichte über angebliche "Durchbrüche" lange vor Mitternacht dürften in die Pannenstatistik des Abends Eingang finden.
Tatsache war:Jedes Detail des komplizierten Deals Magna-GM-Opel wurde stundenlang von allen Seiten beguckt wie bei einer Trichinenschau, erst von der Fachebene, dann von den Spitzen der Regierung, am Ende sogar getrennt nach Parteien und Bund- und Ländervertretern.Mehr als einmal soll die Stimmung auf der Kippe gestanden haben, wird kolportiert. Denn die Amerikaner pokerten auch diesmal bis zur letzten Minute und lieferten "überraschende Zahlen und Einfälle", wie ein Staatssekretär hinterher zu Protokoll gab. Dem Vernehmen nach versuchten sie immer wieder, zunächst die ersehnten Kreditverträge geregelt zu kriegen, um schnell an das deutsche Steuergeld zu kommen.
Erst in einem zweiten Schritt, sagte ein Ministerialer, waren sie bereit, sich auf das Treuhand-Modell einzulassen.Immer wieder habe sich die Runde direkt mit Stellen in den USA kurzschließen müssen. Und das, obwohl Kanzlerin Angela Merkel bereits am Freitagnachmittag mit US-Präsident Barack Obama persönlich telefonierte, um für ein möglichst geschmeidiges Verhandlungsklima zu sorgen. "Die waren ziemlich sperrig, sowohl die US-Regierung, als auch die GM-Leute und Opel Europe", berichtete ein Teilnehmer.
Egal. Am Ende stand eine Lösung, deren Details am Samstagmorgen gegen zehn Uhr an die Öffentlichkeit kamen. Die meisten Minister lagen da noch im Bett, träumten von Opel und schickten ihre Staatssekretäre an die Medienfront. Nur einer, Karl-Theodor zu Guttenberg, war schon wieder auf den Beinen. Und kartete nach. "Ich konnte dem Magna-Konzept bis zuletzt nicht zustimmen und habe eine Planinsolvenz als Neustart für Opel vorgezogen", ließ er grummelnd verlauten, ohne genau zu sagen, wie denn nun seine "Risikobewertung" ausgefallen ist.Prompt trat ihm SPD-Generalsekretär Hubertus Heil vors Schienbein. Minister zu Guttenberg habe viel zu lange Zeit versucht, die Opel-Rettung zu unterlaufen, sagte der Sozialdemokrat.
Eine Replik, die bei der Kanzlerin nicht verfing. Sie lobte ihr jüngstes Kabinettsmitglied am Mittag demonstrativ. Es sei die Aufgabe und das Recht eines Wirtschaftsministers, "die Finger in die Wunde zu legen", so Angela Merkel. Zu Guttenberg habe bei der Vorbereitung des Opel-Themas jedenfalls "hervorragende Arbeit" geleistet. Damit es ja nun vorbei. Die Federführung in Sachen Opel hat der Senkrechtstarter in der Regierung am Samstag abgegeben. An Angela Merkel.