„Panik kann ansteckend sein“

Therapeut Gerd Grudzinski über die Angst der Banker und die Vernunft der Sparer.

Herr Grudzinski, wann wird aus Angst eine Panik?

Grudzinski: Angst kann auch nebenher laufen. Panik ist dagegen ein intensiver psychischer und physiologischer Schub - da kann man nichts anderes mehr machen. Angst ist nicht generell etwas Schlechtes, sondern war und ist entwicklungsphysiologisch sinnvoll, um aus bestimmten Situationen herauszukommen - durch Totstellen, Kampf oder Flucht. Panik hat den Nachteil, dass die Kaskaden von ausgeschütteten Hormonen ein Nachdenken verhindern. Sie kann also in blinden Aktionismus münden.

Gilt das genauso für Gruppen - wie etwa die Aktien-Anleger?

Grudzinski: Eine Gruppe reagiert prinzipiell genauso wie ein Individuum. Die Panikreaktion ist sogar ansteckend. Seit einigen Jahren gehen Wissenschaftler davon aus, dass Spiegelneuronen im Gehirn das Verhalten anderer widerspiegeln und den einzelnen dann mitreißen.

Was passiert dann?

Grudzinski: Es greift der tief verwurzelte Überlebensmechanismus: Rette sich, wer kann. Man darf dann auch nicht mehr verlangen, dass einem jemand hilft - das können nur ganz edle Menschen. Unerheblich dabei ist, ob die Gefahr real ist oder nur als Vorstellung existiert.

Hat die Börsen-Panik Laien ebenso befallen wie Profis?

Grudzinski: Die normalen Sparer haben noch relativ zurückhaltend reagiert. Die Banker habe ich fast panischer erlebt. Weil sie sich vorher so wahnsinnig sicher gefühlt haben, war die Fallhöhe bei ihnen enorm. Es ist ja auch unbegreiflich, wie sie die Zeichen, die es schließlich lange vorher gab, einfach ignoriert haben. Das sind Hinweise auf ein schon sehr flexibles Gewissen.

Wie können Außenstehende reagieren?

Grudzinski: Es ist fast unmöglich einzugreifen, wenn eine Panik erst mal angefangen hat. Deshalb war es geschickt von der Bundesregierung, ihre Sicherheits-Signale so früh auszusenden. Sie hätte sogar noch eher damit beginnen können.

Versteht ein Mensch oder eine Gruppe in Panik rationale Argumente noch?

Grudzinski: Betroffene können nicht mehr gut zuhören, schon weil das Blut in die Beine sackt. Komplexe Sachverhalte sind also nicht zu vermitteln. Es funktionieren nur einfache Aussagesätze, die am besten mehrfach wiederholt werden. Und wenn sie sich die Erklärungen der Bundesregierung über die Tage hinweg ansehen, dann hat sie das gut gemacht.

Was nützt sonst noch gegen Panik?

Grudzinski: Religiöse und ethisch-moralische Überzeugungen - also ein festes Weltbild - und ein gut fundiertes Selbstwertgefühl helfen sehr gut, Panikattacken zu vermeiden oder zu verkürzen.

Tritt im Gegenzug jetzt eine Kaufpanik ein?

Grudzinski: Das glaube ich eher nicht. Man könnte über eine euphorische Erleichterung spekulieren. Aber mit Spekulationen ist das ja so eine Sache, wie wir gerade erfahren haben.

Können denn Betroffene aus dieser Börsenpanik etwas lernen?

Grudzinski: Eigentlich müsste man davon ausgehen, dass gebrannte Kinder das Feuer scheuen. Aber es kommt letztlich darauf an, wie groß die Gier wieder wird. Und die wird davon beeinflusst, ob einem die Banken suggerieren, man wäre ja wohl nicht recht bei Trost, wenn man sich mit normalen Spareinlagen zufrieden gibt.

Die Banker selber werden allerdings einen anderen Schluss aus den Ereignissen ziehen: Diejenigen, die das ganze Desaster verursacht haben, haben keinen finanziellen Schaden - und das wird die Banker darin bestätigen, genauso weiterzumachen.