„Die Kunst wird verheizt“

Interview: Der Düsseldorfer Künstler Thomas Schütte kritisiert den Kunstbetrieb und das Museum als unflexible Behörde.

Düsseldorf. Thomas Schütte ist das, was man einen Star nennt, mit Ausstellungen zwischen Münster, Venedig und Düsseldorf. Doch je mehr Wirbel um seine Kunst gemacht wird, desto schweigsamer wird er. Ein Interview ist die Ausnahme.

Herr Schütte, bei Ihren Bronzen kann ein Kopf schimmernde Augen und eine offene Schädelplatte haben. Wie kommt das?

Schütte: Durch einen Fehler im Guss. Mein "Wicht" hat einen Dachschaden. Wir haben dann die Augäpfel angeschweißt, dadurch kamen goldene Augen zustande. Die Augen zum Leben zu erwecken, durch Patina, durch Bearbeitung, darin liegt die Schwierigkeit.

In Ihren Köpfen sieht man Ihren spontanen Zugriff auf den Ton. Wo beginnt und wo endet die Menschlichkeit?

Schütte: Ich kann dazu eine absurde Geschichte erzählen: Sie wurden ganz rabiat modelliert, während der Fußballweltmeisterschaft in Köln, ganz schnell. Und beim Brennen ist die Hälfte davon kaputt gegangen, zerplatzt. Der Ofen ist zusammengebrochen. Das sah hinterher wie Bagdad aus, zerrissene Köpfe. Zwölf konnten wir reparieren und als Abgüsse retten. Die wurden genauso rabiat abgeformt und gegossen und noch viel rabiater patiniert. Wenn ich mir die anschaue, sehen sie alle aus wie Selbstporträts, durch das Leben, durch Patina, durch Unfälle gezeichnete Gesichter.

Sie gehen recht brutal mit dem Material um, aus denen Ihre Wunderwerke entstehen. Wie gehen Sie vor?

Schütte: Wenn aus den Urtypen Abzüge oder Abformungen gemacht werden, bringe ich sie mit einem Holzhammer in die richtige Form. Die werden regelrecht verprügelt oder gezeichnet, hingerichtet. Viele Köpfe sind mit dem Hammer entstanden, deshalb haben sie eine leicht gedrungene Haltung. Wenn man Ton schlägt, wird er weich und sackt dann in sich zusammen.

Sie arbeiten auch mit den Händen?

Schütte: Ja, der Daumen bildet die Augengröße und zwei Daumen bilden die Mundgröße. Und die Nase ist zwischen den Handballen gequetscht. Ich modelliere mit den Händen recht schnell. Es sind Überzeichnungen, auch Karikaturen.

Machen Sie auch Porträts?

Schütte: Ich würde mir nicht zutrauen, einen bestimmten Menschen, einen Professor, Doktor oder Vorstandsvorsitzenden, in Bronze zu gießen.

In Münster haben Sie Ihr "Modell für ein Museum" von 1982 wieder verwendet. Wie sehen Sie das Museum?

Schütte: Die Kunst wird gezeigt, verheizt, verbraten, beschrieben. Und der Lohn dafür ist quasi wie im Recyclinghof: Man wird nach Kilo bezahlt. Und in dem pyramidalen System ist nur heiße Luft, die große Aufregung, diese Kunsthallenkunst. Und obendrauf ist ein gläserner Turm mit neun Etagen, da sind die Büros drin, die verwalten das Ganze und freuen sich königlich, dass unten ein Riesen-Apparat läuft.

Das hört sich zynisch an?

Schütte: Ja, und es ist leider Wirklichkeit geworden. Alle Museen sind Behörden. Deshalb heißt es bei mir auch nicht Skulptur-Projekte Münster, sondern "Skulptur-Behörde Münster". Ich glaube nicht, dass in den großen Festivals noch irgendetwas passieren kann. Eher im kleinen Rahmen.

Lässt sich die Kunst retten?

Schütte: Ich weiß es nicht. Wenn meine Kinder etwas nicht verstehen, sagen sie zu mir: "Ach, das ist bestimmt Kunst."

Lässt sich das Museum retten?

Schütte: Es ist irre beliebt, dieses museale Gebilde. Die Grundfragen werden immer noch nicht beantwortet, aber es ist besser, ein Museum zu bauen, als Panzer in Afghanistan zu Schrott zu fahren. Und ich mache da ja mit. Aber die Trefferquote einer Documenta liegt unter zehn Prozent.

Wird die Kunst kopflastig?

Schütte: Wenn man den Beipack-Zettel nicht gelesen hat, steht man vor den Kunstwerken wie ein Depp.

Das hört sich pessimistisch an?

Vita: Thomas Schütte wurde 1954 in Oldenburg geboren. Von 1973 bis 1981 studierte er an der Kunstakademie Düsseldorf bei Fritz Schwegler und Gerhard Richter. Er wohnt in Düsseldorf.

Ausstellungen: Er ist international gefragt, hat 1987, 1992 und 1997 auf der Documenta teilgenommen und stellt derzeit bei Skulptur Projekte Münster und im Palazzo Fortuny in Venedig aus.

Auszeichnung: Bei der Biennale in Venedig, 2005, erhielt er den Goldenen Löwen als bester Künstler.

Ranking: Im Capital- Kunstkompass nimmt er Platz 16 unter den besten Künstlern weltweit ein.

Galerie: Er wird von der Galerie Konrad Fischer vertreten.