George Tabori gestorben: Der Über-Lebens-Spieler

Würdigung: Zum Tode des Weltmannes und Theatermachers George Tabori.

Düsseldorf. Zuletzt war er ganz Aura und guter Geist; eine Erinnerungsspur, die er freilich noch selbst zog. Fast schon immateriell, trotzdem präsent. George Tabori war - nach einer Lebensreise von Ungarn, London über die USA und Wien, um nur wenige Stationen zu nennen - in Berlin angekommen. Bei Claus Peymann am Berliner Ensemble. Dort wohnte er nur wenige Schritte entfernt vom Theater am Schiffbauerdamm, so dass Schauspieler, Dramaturgen, Eleven, Freunde und allerlei Verliebte und Verrückte zu ihm gehen konnten und er keinen Weg auf sich nehmen musste.

Obwohl, was heißt Weg? Sein Ziel blieb das Theater, am liebsten der Bühnen-Kreis, ohne Anfang, ohne Ende, demokratisch gerundet. Lange schon waren seine Gesten knapper, die Worte leiser, das Schweigen lauter, das Lächeln durchscheinender geworden. Er saß dann, biblischer Erzvater, Shakespeare-Narr oder Zauberkönig, am Rand der Bühne oder vorn im Parkett. So lieh er "dem Nichts aus Luft und Erden einen Wohnsitz, einen Namen", wie es im "Sommernachtstraum" heißt.

Tabori - ein Monument des 20. Jahrhunderts, seiner Katastrophen, seines Aberwitzes, seiner künstlerischen Brüche und Aufbrüche, das ins dritte Jahrtausend seltsam träumerisch hinein ragte. Wenn wir Glück hatten, erzählte er Anekdoten. Etwa jene, die sein Verständnis von Theater pointierte: Als er mit seinem Vater damals in Budapest den Zirkus besuchte und eine Artistin vom Hochseil fiel - und auf der Stelle tot war. Und der Bub George dachte, dass das immer so sei, jeden Tag aufs Neue. Theater unter Lebensgefahr. Ein Über-Lebens-Spiel.

Es sind halt komische Leut’, die vom Theater. So wie er selbst, der am 24. Mai 1914 in Budapest geborene Jude mit britischem Pass: Emigrant, Leutnant und Spion Ihrer Majestät, BBC-Reporter im Nahen Osten, Hollywood-Gastarbeiter, Drehbuchautor (u.a. für Hitchcock, Litvak, Losey), Brecht-Übersetzer, Erotiker, Dramatiker, Schauspieler, Regisseur, Agitator der Freiheit und Kalauer-King.

Seit 1971 machte er, der schon in England und Amerika an Bühnen gewirkt hatte, in Deu-tschland Theater, u.a. in Bremen, München und Bochum, in Köln und Bonn. Taboris Theater produziert und strukturiert Leben, reproduziert nicht Kunst. Es ist menschenbezogen, nicht verdinglicht, ideologisch oder theoretisch. Es improvisiert und hat heilige Angst vor dem Perfekten und einer von der Politik blutig angestrichenen Ordnung, gemäß seinem Motto: "Let’s try it". Es verwandelt Worte in Fleisch. Kennt sich aus in den Katakomben und auf den Friedhöfen und schätzt diese mehr als die Kathedralen der Kunst. Es ist lustbesessen, so wie Taboris Figur des Mr. Jay aus seinen "Goldberg-Variationen" (1991), der zwischen Bett und Bühne hechelt und nach der ewigen Eva lechzt. Tabori hat dem mörderischen Jahrhundert in den Rachen geschaut und diesen Anblick und Geruch nie vergessen. Er hat den Tod Gottes in den Gaskammern überlebt und danach historische Mysterien- und Endspiele, Glaubensbekenntnisse, melancholisch melodiöse Komödien und Farcen geschrieben.

In ihnen regt sich Hoffnung jenseits der Hoffnungslosigkeit, entwachsen Lachen und Schrecken einer Wurzel. Die Stücke heißen "Mein Kampf" (1987) und zeigen einen komischen Mann und mickrigen "Bruder" Hitler im Wiener Asyl, den "Frau Tod" als Assistenten sucht. Oder "Mutters Courage" (1979), handelnd von Mama Tabori, der ein SS-Offizier, und mehr noch eigene Chuzpe das Leben rettet. Oder "Die Kannibalen" und "Jubiläum", spielend im KZ oder auf Gräbern.

Preise: Mülheimer Dramatiker-Preis1983 und 1990 Peter-Weiss-Preis 1990 Berliner Theaterpreis 1988Joseph-Kainz-Medaille 1988 Georg-Büchner-Preis 1992 Jeanette SchockenPreis 2003 "Faust" - Deutscher Theaterpreis für sein Lebenswerk, 2006

"Er war ein weiser und kindlicher Mensch, ein wunderbarer Zauberer. Jetzt hat er die Bühne verlassen." (Claus Peymann, Intendant des Berliner Ensembles)

"Was ich an seinen Stücken immer bewundert habe, war die ironischeLeichtigkeit, mit der er die entsetzlichsten Dinge gefasst hat. WieDiamanten in Papier, und sie bleiben trotzdem an Ort und Stelle. Er hatmich immer an Charlie Chaplin erinnert, der mit der Weltkugel spielt,die völlig schwerelos ist." (Elfriede Jelinek, Dramatikerin und Literatur-Nobelpreisträgerin)

"Immer wieder hat George Tabori seinen Abschied von der Bühneangekündigt, nie hat er ihn in die Tat umgesetzt: Das Theater war seinLeben. Nur der Tod konnte ihn von der Bühne trennen. Nun hat er unsendgültig verlassen. Er wird uns wie kein anderer fehlen, dieserwunderbare Autor, dieser begnadete Regisseur, dieser Komödiant, der mitallem seine Späße trieb und dessen Witz so versöhnlich war." (Klaus Zehelein, Präsident des Deutschen Bühnenvereins)

"Er, der sich selber als Spielmeister bezeichnet hat, verkörperte inseinen Werken die Zwiespältigkeit menschlicher Existenz in ihrerHeiterkeit und Traurigkeit und war damit lebensvoller Interpret vorallem der Katastrophen des 20. Jahrhunderts, deren Zeuge er gewesenist." (Klaus Staeck, Präsident der Berliner Akademie der Künste)

"Die Humanität und Weisheit Taboris waren einzigartig in derTheaterwelt. Unser Metier ist mit seinem Tod ärmer geworden. DieGroßzügigkeit seiner Kunst und seines Herzens werden wir schmerzlichvermissen." (Klaus Bachler, Burgtheaterdirektor)

"Ich bin tief, tief traurig. Das geht mir richtig ans Gemüt. DasSchöne war, wenn man ihn sah, hat er einen umarmt, als hätte er einLeben lang auf einen gewartet. Und deshalb haben wir ihn alle sogeliebt. Er hat sich sehr über die Gruppe formuliert und immerversucht, eine Familie zu bilden. Und er war ein wirklich guter Hirte,er hat die Leute gut behütet und geführt." (Jürgen Flimm, Regisseur und Intendant der Salzburger Festspiele)

"Seine Zuneigung zu Menschen und Neugier auf Menschen glich einerimmer währenden Umarmung. Wer als Mitarbeiter, Zuschauer oder Leser andiesem Glück teilhaben konnte, der wird dies nie vergessen können.George Taboris Werk und Weisheit gehören zum Weltkulturerbe." (Der Gustav Kiepenheuer Bühnenvertrieb, der Taboris Theaterstücke verlegte )

"Trotz und wegen seiner eigenen biografischen Erfahrungen hat GeorgeTabori die von den Nationalsozialisten grausam unterbrochene stolzeTradition jüdischer Beiträge zur deutschen Literatur als Autor,Schauspieler und Regisseur mit unwiederholbarer persönlicherSouveränität fortgeführt." (Norbert Lammert, Bundestagspräsident)