Bregenzer Festspiele: Ein Auge zieht die Blicke an
Himmelmann inszeniert „Tosca“ als Opern-Thriller, der es mit Hollywoods Blockbustern aufnehmen kann.
Bregenz. Das geht buchstäblich ins Auge: Wenn Scarpias Schergen dem Maler Mario das Versteck eines geflohenen Polit-Häftlings entprügeln wollen, bekennen die 62. Bregenzer Festspiele Farbe. Der Gewaltakt ist nicht zu sehen, dafür zieht ein überdimensionales Auge alle Blicke auf sich: Die Iris ist blutunterlaufen, die Spannung an ihrem Höhepunkt.
Regisseur Philipp Himmelmann zeigt einen Opern-Thriller, der es mit jedem Hollywood-Blockbuster aufnehmen kann. Was "Tosca" von der Traumfabrik unterscheidet, ist die malerische Kulisse: Die Kreativen vom Bodensee, die am Donnerstagabend einen grandiosen Start in die Open-Air-Saison feierten, haben sich wieder einmal selbst übertroffen - mit technischen Raffinessen auf hohem künstlerischen Niveau.
Dabei steht das Sehorgan nicht nur für das Auge, das Mario malt und seine Geliebte Floria Tosca eifersüchtig macht. Es ist Symbol für den Überwachungsstaat - und damit mehr als nur ein üppiger Blickfang, der das bewegliche Bühnenbild von Johannes Leiacker dominiert. 7000 Premierengäste bejubelten Giacomo Puccinis packenden Krimi um Liebe, Eifersucht und Machtgier.
Bis zum 19. August dürfte die teils recht poppige Inszenierung allerdings für geteilte Meinungen sorgen: für Begeisterung beim Videoclip-geschulten jungen Publikum und Zurückhaltung bei eingefleischten Belcanto-Freunden. Aber auch die können getrost ein Auge zudrücken, wenn die moderne Technik in der ausfahrbaren Kulisse ihre Zeit braucht. So bietet sie kleine Verschnaufpausen im sonst so dichten Kammerspiel. Himmelmann setzt in den passenden Momenten auf überraschende Klangeffekte und spektakuläre Projektionen, tut aber gleichzeitig gut daran, bei zunehmender Tragik hauptsächlich auf sein hervorragendes Ensemble und die glänzend aufspielenden Wiener Symphoniker unter Fabio Luisi zu vertrauen: Ohne allzu große Aufmärsche oder Kostümpomp zeigt er den einzelnen Menschen in seiner Einsamkeit.
Gidon Saks überragt die Szene als Polizei-Chef: Dem Machtmenschen Scarpia wird seine Wollust zum Verhängnis. Die Sopranistin Floria Tosca (Nadja Michael) wandelt sich währenddessen vom Opfer zur Täterin: Während ihre anfängliche Unreife vom Glamour ihres Bühnenalltags überdeckt wird, zeichnet der Tenor Zoran Todorovich als Mario das Psychogramm eines zerrissenen Künstlers, der der Revolution nahe steht, zugleich für Kirche und Staat arbeitet und sich auf politischem Terrain genauso ungeschickt verhält wie auf dem Liebesparkett.