Neuer Tanz in Düsseldorf: Im Wartesaal des Lebens
Der Choreograf Akram Khan lässt eine internationale Tänzertruppe das Leben in einer globalisierten Welt tänzerisch darstellen.
<strong>Düsseldorf. Während die Chinesen den tibetischen Aufstand mit Waffengewalt niederschlagen, entwirft Akram Khan in seiner Tanzkunst unbeirrt die Vision von einem friedlichen Miteinander der Kulturen. Die deutsche Erstaufführung seines jüngsten Stücks "bahok" eröffnete das über ein Jahr angelegte EU-Projekt "Chin-A-Moves coop Europa" im Tanzhaus NRW. Anlässlich der Olympischen Spiele will es China und Europa im zeitgenössischen Tanz in einen Dialog versetzen. Die Anzeigetafel in der Wartehalle eines Flughafens spielt verrückt: Wenn die Buchstaben, gleich Kugeln beim Roulette, nach langem Rattern endlich anhalten, bilden sie lähmende Worte wie "Please wait", "Delayed" oder gar "Phone home". Acht Nationalitäten hat Akram Khan, selbst Brite mit bengalischen Wurzeln, an diesem trostlosen Ort versammelt: drei Tänzer des National Ballet of China und fünf seiner eigenen Company - erstmals steht der exzellente Tänzer Khan selbst nicht auf der Bühne.
Wir alle sind Lastenträger unserer Sehnsüchte und Hoffnungen
Langeweile und Hilflosigkeit bringen die Wartenden in Kontakt. "I don’ t know where I come from", verzweifelt Eulalia Ayguade Farro, bemüht um eine Gespräch mit Meng Ning Ning. Die Spanierin gibt die Außenseiterin in diesem Wartesaal des Lebens, wo die modernen Nomaden aufeinander treffen. Sie drückt ihre Papiere fest an sich, zeigt jedem einen Zettel mit ihrem Namen, stets hoffend, jemand könne ihr etwas über ihre Vergangenheit erzählen. "I can’t find my home", sagt sie, verloren im Dschungel kultureller Identitäten. "Bahok" ist das bengalische Wort für Lastenträger. Ein jeder hat sein Päckchen dabei, das er, in seiner jeweiligen (Körper-)Sprache, irgendwann öffnet. Drin sind Sehnsüchte und Erinnerungen, die in choreografierten Anekdoten, zu einer Klangsymphonie von Nitin Sawhney, Gestalt annehmen. So schleppt die Südafrikanerin Shanell Winlock die Schuhe ihres Vaters mit sich, die zu unangenehmen Fragen eines Beamten führen und auch im Tanz durchaus ein Klotz am Bein sind. Wang Yitong klammert sich im Schlaf an Andrej Petrovic, bis sie kopfüber an ihm herunterhängt.Körpersprachen-Vielfalt verwischt stilistische Grenzen
Diese getanzten Balladen sind heiter, skurril oder berührend. Lyrische Momente wechseln mit aggressiven Szenen, beispielsweise einem Kampf um eine Spielkonsole, doch bleibt das Stück letztlich harmonisch grundiert. "Bahok" ist nicht spirituell wie Khans mystische Natur-Hommage "Ma", nicht so elegant und emotional wie sein Duett mit Sidi Larbi Cherkaoui "Zero Degrees", dafür bezwingen seine gedankliche Durchdringung und choreografische Intelligenz.In den Soli und Duetten entfalten sich die Persönlichkeiten der wunderbaren Künstler, sei es die klassisch-akademische Ballerina, der indische Kathak-Künstler oder der zeitgenössische Tänzer. Dabei hat die babylonische Körper-Sprachenvielfalt längst die stilistischen Grenzen verwischt.
Überragend sind die Gruppenszenen. Wenn das Ensemble sich gleich einem Schwarm Zugvögel zusammenrottet, um dann wie in einer Explosion vorwärts zu drängen, in alle Himmelsrichtungen zu streben, Weite zu bedeuten, hat Khan ein grandioses Bild für das Getriebensein in einer globalisierten Welt gefunden.