Kunst Die Erfolgsspuren der Becher-Klasse

Das Städel geht in einer Retrospektive der Frage nach, wieso die ehemaligen Schüler von Bernd und Hilla ihre Lehrer überholten.

Andreas Gursky zeigt im Städel „Passkontrolle“

Foto: (c) VG Bild-Kunst Bonn, 2017

Frankfurt. In der Metropole der Banken ist es offensichtlich leichter, an die Inkunabeln der Fotografie zu kommen als andernorts. So startete das Städel zwar erst 2008 mit dem Sammeln aktueller Schätze, aber zugleich mit Pauken und Trompeten. Über 200 zum Teil großformatige Werke sind es allein aus der DZ-Bank, die dem Haus als „Dauerdauerleihgabe“ überreicht wurden, wie Direktor Philipp Demandt erklärt, um auf den lebenslangen Vertrag hinzuweisen. Sie bilden den Grundstock für eine Ausstellung, die der Becher-Klasse aus der ersten Generation gilt. Dabei stellen sich die Kuratoren Martin Engler und Jana Baumann die längst fällige Frage nach den Bildstrategien dieser überaus erfolgreichen Gruppe. Oder genauer: Wie kommt dieser Siegeszug der Künstler auf dem internationalen Parkett zustande?

Thomas Ruff zeigt das Porträt G. Bezenberg

Foto: (c) VG Bild-Kunst Bonn, 2017

Den Start legten die Lehrer Hilla und Bernd Becher schon Ende der 1960er Jahre, als sie die amerikanischen Impulse der Minimal Art und Pop Art aufgriffen, also mit System und in Serien zu arbeiten begannen. Für sie war das Foto von Anfang an Kunst. Ihre „Typologie“, wie sie ihre fotografischen Abfolgen von Gebäuden nennen, ist bezeichnend dafür. Als sie 1990 den Goldenen Löwen auf der Biennale in Venedig erhielten, wurden sie für ihr skulpturales Denken ausgezeichnet und nicht für die Abbildhaftigkeit irgendwelcher Motive.

Die Kuratoren in Frankfurt packen jedoch alle Theorie in den Katalog. Die Ausstellung selbst ist ein heiterer, vielfältiger Gang durch die moderne Fotoszene. Und zugleich ein Who is Who ihrer Haupthelden.

„Fotografien werden Bilder“ ist der stimmige Titel für diese Schau, die vielfach der Malerei sehr nahe steht, was ursprünglich gar nicht beabsichtigt war. Sie ist formal gut gegliedert in Überblicke und einzelne monografische Kabinette. Sie zeigt nicht nur stilistische Beschränkungen, sondern stellenweise auch Witz, wenn Andreas Gursky 1982 die Pförtner im Thyssen-Hochhaus und die Bediensteten bei der Passkontrolle paarweise und frontal ablichtet.

Jörg Sasse hat es anfangs auf die spießige Wohnkultur mit gehäkelten Topflappen, Wandkacheln und Küchenschwämmen abgesehen. Auch die Interieurs von Oma und Opa, Tante oder Eltern von Thomas Ruff erzeugen beim Betrachter ein leichtes Schmunzeln.

Doch diese Szene trifft auf die Werbefotografie der 1980er Jahre, die in Düsseldorf dank des Fotolabors Grieger voller Erfindungsgeist ist. Die Werber, zu denen auch Willy Gursky gehört, zählen zu den Geburtshelfern der Künstler, unabhängig von Minimal und Pop oder der Bauhaus-Fotografie.

Diese Mischung aus Kunst und Werbung, gegen die sich die Bechers anfangs vehement sträuben, führt zum kometenhaften Aufstieg der Struffkys. Die Generation von Gursky bis Ruff ist neugierig, experimentierfreudig und stets versessen auf neue Bilder.

So konstruieren sie sich ihre Welt in beeindruckenden Formaten, digitalen Vervielfältigungen und Retuschen, in besonders hochauflösenden Abzügen oder in einer bewusst niedrigen Pixelzahl. Als Thomas Ruff 1991 von Herzog und de Meuron den Zuschlag erhält, um deren Beitrag für die Architekturbiennale von Venedig zu gestalten, nimmt er sich das Lager der Firma Ricola in Laufen vor die Brust. Aber er pilgert und klettert nicht rund um den Bau, wie die Bechers es getan hätten, sondern addiert das Motiv stückchenweise zum Breitformat von knapp drei Metern. Den Besuchern im Städel springt das Gebäude wie eine Prellwand entgegen. Zwei Jahre später toppt Gursky seinen einstigen Kommilitonen im berühmten Motiv des „Montparnasse“ in Paris mit stolzen 4,22 Meter Breite. Manche Besucher versuchen noch immer, in jedes Appartement hineinzuschauen.

Es gibt Mitstreiter wie den Krefelder Volker Döhne, der seine Auto-Serie „Bunt“ im Großbilddia aufnimmt, aber aus Kostengründen erst 40 Jahre später aus der Schubade holt.

Thomas Struth präsentiert sich wie ein Maler in seinen sehr sensiblen Gruppenbildern. Die Werke von Axel Hütte sind eine erste Vorhut vor der großen Retrospektive im September im Düsseldorfer Kunstpalast, die längst fällig ist. Denn selbst die Frankfurter Schau mit ihren 200 Beispielen zeigt nicht die Totale. Die Becher-Klasse ist noch lange nicht erschöpfend dargestellt, zumal auch die jüngeren Generationen herausragende Bildgestalter sind.