Der Schauspielstar als Fotograf: Fotos und Videos in der Ausstellung „O Mensch“ im K 21 der Kunstsammlung NRW Wie Lars Eidinger auf die Welt blickt
DÜSSELDORF · „Ich glaube nicht, dass Smartphones smart sind“, erklärt Lars Eidinger nach einigem Zögern. Und fügt nachdenklich hinzu: „Ich benutze es nur als Telefon oder Kamera.“ Sagt einer der gefragtesten deutschen Schauspieler – jetzt nicht auf einer Theaterbühne, sondern im K 21 der Kunstsammlung NRW.
Im altehrwürdigen Gemäuer des früheren Ständehauses in Düsseldorf stellt der Bühnenstar etwa 100 Fotos, zwölf Videos und einen früheren Super-8-Film aus. Mit spontan geschossenen Szenen auf Straßen, in Parks, an Seeufern oder in Staats-Palästen. An Gastspielorten des Berliner Ensembles und an Drehorten in Europa, Asien, Australien oder in den USA. Überall dort, wo er auf Brettern oder selbst vor der Kamera stand. Weder inszeniert noch autorisiert sind die Fotos des Mannes, dessen offenes, verletzbares Gesicht die meisten Menschen durch Film und Fernsehen kennen. Bei der Vorbesichtigung durfte man ihn selbst nicht fotografieren. Nur autorisierte Porträts lässt er zu.
Der Titel der Schau „O Mensch“ bezieht sich auf den Nietzsche-Vers „Oh Mensch! Gib Acht! Was spricht die tiefe Mitternacht?“ Denn im Mittelpunkt dieser „Symbolbilder einer erschöpften Zeit“ steht der Mensch. zum Beispiel der Mann im Micky-Mouse-Kostüm, der sich am Genfer See gegen Geld fotografieren lässt und sich gerade ausruht. Eidinger entdeckte ihn, als er in Montreux nach Dreharbeiten am Seeufer spazieren ging. Zufällig, wie auch eine Berliner Blumenfrau im geblümten Rock: Die Muster auf ihrer Kleidung passen genau zu den Farben und Formen der feilgebotenen Blumen.
Humorvoll, manchmal auch mystisch wirken zahlreiche Motive – wie eine Sonnenanbeterin, die im roten Badeanzug mit gespreizten Beinen am Sandstrand der Ile de Rey liegt. Oder wenn ein Mann eine Schaufensterpuppe in Berlin umarmt und küsst. Oder wenn auf einer Rückenansicht zwei junge Männer und eine Frau in schwarzen Kleidern die Arme über die Schultern des anderen legen. Davor eine Wasserflasche mit blauem Plastikverschluss.
Alltagsszenen
aus Metropolen
Alltäglich sind die Szenen, an denen die meisten Menschen vorbeilaufen würden, ohne sie wahrzunehmen. Beispielsweise wenn drei junge Menschen in Paris an drei Geldautomaten Bargeld ziehen. Die teilweise gerahmten Motive entstanden überwiegend in Metropolen wie London, Tokio, Seoul, Sydney, New York, Cleveland. So dienen Städtenamen auch als Titel der Abbildungen – nachzulesen auf einem Faltblatt, das den Besucher durch die Ausstellung begleitet.
Sind diese Fotos überhaupt Kunst? Mit den Werken von namhaften Foto-Künstlern (wie Ruff, Gurski, Bescher und Co.), die sonst in dem K 21 präsentiert werden, sind die Schnappschüsse des Schauspielstars nicht zu vergleichen. Den Anspruch erhebt er auch nicht. Vermutlich hätten viele Pressefotografen bei den von Eidinger entdeckten Szenen ebenfalls die Kamera gezückt und schnell geknipst. Fraglich bleibt daher, ob dieselben Arbeiten, veröffentlicht unter dem Namen eines Unbekannten, überhaupt den Weg ins Museum geschafft hätten.
Zu spüren ist auf vielen Fotos jedenfalls die Empathie des Künstlers, der sich sonst als Hamlet mit einem Totenkopf in der Hand ablichten lässt. Tristesse und Melancholie vereint Eidinger mit Widersprüchlichkeit des Lebens. Letzteres ist kaum zu übersehen, zumindest auf einzelnen düsteren Bildern. Mit „sezierendem Realitätssinn“ zeige er die Unzulänglichkeit des Menschen. Und bricht, so Museumsleiterin Susanne Gaensheimer, Grenzen auf. Eine poetische Note erhält die Schau zudem durch die Haiku (Zwei-Zeilen-Gedichte) von Yoko Tawada. Mit Bleistift schrieb die japanische Dichterin sie sorgfältig und behutsam auf die weiße Wand neben einige Bilder – so z. B. zur Micky Mouse am Genfer See: „Abendlicher Strand / Bärenarbeit ist getan / Wer bin ich als Mensch?“ Letztere Frage will der fotografierende Mime dem Betrachter stellen. Zumindest sei dies sein Hauptziel, meint er.
Interessant und streckenweise amüsant ist die Ausstellung, in der ein Charakterdarsteller keine Sozialkritik übt, sondern uns seine Sicht auf die Welt zeigen will. So breitet der viel reisende Lars Eidinger seine fotografische Ausbeute der letzten acht Jahre in vier Sälen aus. Die meisten in Farbe. Einige Arbeiten sind schwarz-weiß. Dafür benutzte er eine Leica oder Spiegelreflexkamera. Nur damit ausgerüstet, sagt Eidinger, sucht und entdeckt er die Motive. „Wenn ich mit meinem Telefon fotografiere, suche ich nicht. Dann kommen die Motive zu mir.“
Lars Eidinger. „O Mensch“; Kunstsammlung NRW in Düsseldorf; 31. August bis 26. Januar 2025