Die Bregenzer Festspiele eröffnen mit ungewohnt provokativer Inszenierung des Romantik-Klassikers „Der Freischütz“ Ein teuflisches Vergnügen
BREGENZ · Der Teufel lenkt den „Freischütz“ bis zum Schluss, den er versüßt und Max und Agathe dann doch noch in die Hochzeitskutsche steigen lässt. „Ich wird ja ganz sentimental“ seufzt er voller Selbstironie.
Und beschert auf Teufel komm‘ heraus ein Happy End. Denn die verzauberte Kugel trifft Agathe nicht ins Herz, sondern macht sie nur ohnmächtig. Als wäre das ganze teuflische Spiel rund ums Probeschießen nur ein Traum gewesen.
Voller Witz und beißender Ironie, Mysterienspiel und Wasserschlachten lässt Philipp Stölzl seine Neu-Inszenierung des Opernklassikers von Carl Maria von Weber auf der Bregenzer Bodensee-Bühne enden. Spektakulär und ungewöhnlich für die Festspiele, die 2026 ihr 80-jähriges Bestehen feiern werden und bislang durch schwimmende Bühnenskulpturen und brave, seichte Inszenierungen auffielen.
Die Zuschauer sitzen in diesem Jahr direkt an der Rampe
Seit den späten 1940ern war es also eher eine Bühne, die Traditionalisten wegen genussvoller Opernabende und Bildern auf Distanz schätzten. Im 78. Festivaljahr ist alles anders. Die Zuschauer sitzen direkt an der Rampe: Die singenden Bewohner der windschiefen Bühnen-Häuser rücken auf die Pelle, sorgen nebenbei für exzellenten festspielwürdigen Gesang.
Aber durch die biedermeierlichen Ohrwurm-Arien von Max und Bösewicht Kaspar, von Agathe und ihrer Freundin Ännchen blinzelt meist der Schalk des Regie-Teams unter Stölzl. Stets werden heile Welt und christliche Regeln und betuliche Rituale durch den roten Jäger Samiel kommentiert, mit Spott aufgebrochen und aus moderner Sicht kritisch sarkastisch auf die Schippe genommen. Allgegenwärtig rennt der unruhige Kerl in feuerrotem Trikot durchs Wasser und balanciert über Eisschollen, klettert auf kahle Bäume und Kirchturmspitze.
Er verwirrt durch seine Energie so sehr, dass sich die Zeiger der Kirchturmuhr in rasendem Tempo rückwärts drehen. Und dass, wie der Teufel es will, der Himmel über Bregenz pünktlich zu Premierenbeginn aufreißt. Die Abendsonne taucht Bühne und Ränge in süßliches Abendlicht und beschert angenehme Temperaturen. Der Blick schweift über den still ruhenden See, dichtbewachsene Waldhänge und Ufer-Lichter. Die Idylle – fast ein Wunder! Denn zwei Tage zuvor schüttete es wie aus Eimern, so dass General- und Fotoproben ins Wasser fielen. Nass wurden jetzt aber nicht die Zuschauer, sondern nur die Darsteller, die, wie bei Kneipp-Kuren, durchs Wasser waten mussten.
Moritz von Treuenfels lenkt den Abend virtuos
Neben all seinen Blasphemien – ein gutes Werk des Teufels? Jedenfalls wird er zu einer Paraderolle für den Schauspieler Moritz von Treuenfels: Agil, quirlig, akrobatisch und flinkzüngig mutiert der TV- und Theater-Mime (seine Karriere begann 2015 im Düsseldorfer Schauspielhaus) als geschmeidiger Mephisto-Akrobat zum umjubelten Publikums-Liebling. Er lenkt den pausenlosen Zweistunden-Abend virtuos. Und provoziert am laufenden Band. Das Ergebnis: Teuflisch gut.
Die Wolfsschlucht-Szene wird bei so viel Wasser zur halben Lachnummer. Samiel treibt‘s mit Feuerwerken auf dem Kirchturm auf die Spitze, während sein Geselle Kaspar die Freikugeln gießt: für seinen Kameraden, den Dorf-Schreiber Max, der nur bei gelungenem Probeschuss Agathe, die Tochter des Erbförsters Kuno, ehelichen darf.
Genauso amüsant und grotesk wirken die Brautjungfern, wenn sie den Jungfern-Kranz winden sollen. Wie Bade-Nixen in Glitzer-Türkis, gekrönt mit einem Lichterkranz, hechten sie kopfüber in den kleinen Bühnen-See. Auf Nimmer Wiedersehen. Und Agathe verzehrt sich nach ihrem Max auf einem ausladenden Ehebett. Nebenbei aber verstrickt sie sich in ein lesbisches Abenteuer – mit der Freundin Ännchen. Frei nach Ännchens Motto: „Was willst Du mit dem Langweiler und Schreiberling Max?“ Häme und Spott liefert Samiel – der, wie Mephisto in Goethes „Faust“, mal wieder die Hauptrolle spielt und allerlei nervenkitzelnden Bühnen- und feurigen Budenzauber arrangiert.
Und das in einer der beliebtesten Opern der aufblühenden Früh-Romantik. So viel Regie-Moderne war in Bregenz in den Vorjahrzehnten undenkbar. Dennoch: Die rund 6600 Premieren-Besucher in der Bregenzer Seeluft-Arena waren begeistert, lachten an manchen Stellen. Und man hörte beim Schluss-Applaus nur wenige zaghafte Buh-Rufe für Stölzl. Bravorufe (neben denen für Treuenfels) donnerten los für Sopranistin Nikola Hillebrand, die mit weichen Spitzentönen und stilsicherem Legato-Gesang den Vogel abschoss. Sowohl in ihren Bravour-Arien, als auch im Duett und Trio mit Ännchen (Katharina Ruckgaber) und Max.
Wiener Symphoniker sorgen für zündenden Romantik-Sound
Mauro Peters fein geführter Mozart-Tenor, fähig aber auch zu dramatischen Attacken, liefert neben Nikola Hillebrand sängerischen Festival-Glanz. Und lässt für einige Minuten den Schabernack des Teufels vergessen. Zumal die Wiener Symphoniker, von Beginn an das „Hausorchester“ der Bregenzer Festspiele, für einen schmelzenden, aber auch zündenden Romantik-Sound sorgen. Unter Maestro Enrique Mozzola musizieren sie seit 40 Jahren regensicher im Großen Saal des Festspielhauses.
Die Szene erinnert an Hitchcocks Schwarz-Weiß-Ästhetik oder an uralte Grusel-Bilderbücher. Schiefe Häuser und Kirchturm biegen sich, versinken in einer Schnee-Eis-Landschaft, mit der Stölzl (auch Bühnenbildner) die Zeit nach dem 30-jährigen Krieg beschwört; denn um die Epoche des Untergangs, in dem alle Werte ins Schwimmen gerieten, geht’s im Original-Libretto der Oper, die 1821 im Berlin Schloss-Theater uraufgeführt wurde. Die schwimmende Szenerie mit Kunsteis wird so zum Kontrast des Bregenzer Sommers, der mit der „Freischütz“-Premiere leicht verspätet beginnt.
Weitere Aufführungen bis 31. Juli (meist ausverkauft), sowie am 1.-4., 6.-11. und 13.-18. August. Im August sind noch Tickets verfügbar.