Ausstellung: Die Kabinette des Dr. Olbricht

Das Essener Museum Folkwang zeigt 250 Objekte der wohl kühnsten deutschen Sammlung mit vornehmlich Zeitgenössischem.

Essen. Diese Ausstellung ist umwerfend, ungeheuerlich, atemberaubend - sie sucht schlicht ihresgleichen. In doppelter Hinsicht: Das Essener Museum Folkwang, bislang eher bekannt durch Präsentationen von Klassikern wie Cézanne, van Gogh und Gauguin, geht erstmals mit einer Sammlung an die Öffentlichkeit, deren Schwerpunkt die internationale zeitgenössische Kunst ist. Und so ist der erste Eindruck der, eine Bombe hätte dem Haus das Dach abgerissen, so dass nun ein Wirbelsturm hindurchfegt. Der verbirgt sich hinter dem schlichten Namend "Olbricht Collection", die in ihrer Art weltweit wohl unübertroffen ist. So wird es verständlich, wenn Olbricht sagt: "In ihrer Betrachtung kann ich mich verlieren." Wenn er indes bekennt, ein Kunstwerk wie Maurizio Cattelans gehenkter Knabe, mit dem - Paukenschlag! - die Schau beginnt, sei ein Werk, das er "bis heute nicht wirklich verstanden" habe, spürt man dahinter das enorme Risikobewusstsein des Sammlers. Was mit Meistermann, Nay und Kuno Gonschior begann, führte über einen frühen, überraschend sanft aquarellig punktenden Damien Hirst und Robert Kusmirowski am Ende zur modernen Kunst Asiens, etwa Takashi Murakami und Yoshitomo Nara. "Auch Schreckliches muss sein, nicht nur Schönes", sagt Olbricht, und so endet der mit Memento-Mori-Zeugnissen gepflasterte Parcours stilsicher in einem Friedhof. Die geheime, liebste Welt des Menschen und Arztes Thomas Olbricht dürften aber die kleine, intim erleuchtete Wunderkammer und die sie wie eine Aura umgebenden Räume sein, Schatzkammern aller Arten. Sie enthalten kostbarste Stiche oder wunderliche Skulpturen aus dem 14. bis 17. Jahrhundert zu Vergänglichkeit und Tod, Marter und Folter, etwa die Verbrennung des heiligen Johannes, den Stephan Balkenhol 2003 in die Gegenwart holt.

Das Elend der Anonymität lässt erschauern

Er könne mit Zustimmung ebenso wie mit Ablehnung leben, so Olbricht, doch "eine Niederlage wäre es, wenn die Menschen nichts spürten". Kaum vorstellbar etwa im "desaster room" mit Schreckensszenen aus Filmen, die längst wahr geworden sind. Dass die Sammlung aber auch Kunstgeschichte wachruft, zeigen frühe Arbeiten aus den 60ern von Konrad Lueg und Andy Warhol. Stille Räume mit wundersamen Fotografien von Cindy Sherman und Marlene Dumas wechseln mit solchen, wo das Hässliche, Verzerrte dominiert, so George Condos Bild "Jean-Louis’ Girlfriend", auf deren Hals zwei kläffende Köter thronen. In der Sexualität sehen diese jungen Künstler immer die Nähe zu Tod, Perversion und unendlicher Einsamkeit. Das Elend der Anonymität schildert Evan Pennys erschauern lassende, glasig blauäugige Büste "No One - In Particular". Wang Dus "Frauen"-Skulpturen erschrecken als desolat unproportionierte Schaufensterpuppen, als wären sie einem missglückten Laborversuch entsprungen. An Albrecht Dürers Stich "Ritter, Tod und Teufel" von 1513 haben wir uns ja gewöhnt, aber apokalyptische Darstellungen wie Jonas Burgerts furchterregende "Selbstjäger" (2005), wo inmitten moderner Hochhausarchitektur Menschen gepfählt werden, verlangen von uns das Eingeständnis, dass wir tagtäglich die Voyeure solchen Grauens sind.

Das titelgebende Gemälde "Rockers Island" malte Moritz Schleime 2006. Es zeigt vor einem zerklüfteten Patchworkfelsen einen Freibeuterkutter namens "Rosi" mit herzroter Flagge in dunkelblauerm Meer, auf dem ein durch Bart und Maske unkenntlicher Bursche in Jeans thront, ein Lasso und einen Knüppel schwingend.