Chipperfield saniert Berliner Museums-Ikone
Berlin (dpa) - Am 31. Dezember, 18.00 Uhr, geht in Berlin eine Ära zu Ende: Die Neue Nationalgalerie, eine Ikone der Klassischen Moderne von Baumeister Ludwig Mies van der Rohe, wird auf Jahre hinaus geschlossen.
Nach fast einem halben Jahrhundert ununterbrochenem Betrieb muss der legendäre Glastempel zwischen Philharmonie und Landwehrkanal in der Nähe des Potsdamer Platzes generalüberholt werden.
Die schlechte Nachricht: Nach dem weltberühmten Pergamonaltar, der ebenfalls wegen Sanierungsarbeiten voraussichtlich bis 2019 nicht zu sehen ist, muss die Bundeshauptstadt damit langfristig auf ein zweites kulturelles Highlight verzichten. Eine der international wichtigsten Sammlungen moderner Kunst mit Schlüsselwerken von Pablo Picasso bis Andy Warhol, von Ernst Ludwig Kirchner bis Gerhard Richter wandert weitgehend ins Depot.
Die gute Nachricht: Für das hochsensible Projekt zeichnet Stararchitekt David Chipperfield verantwortlich. Der 61-jährige Brite hat mit seiner vielfach preisgekrönten Rekonstruktion des Neuen Museums, dem „Palast“ von Königin Nofretete auf der Museumsinsel, seit langem die Herzen der Berliner erobert.
Die Sanierung der 1968 eröffneten Nationalgalerie vergleicht er mit der Generalüberholung eines 68er Mercedes. „Der Besitzer wünscht sich moderne Sicherheitsgurte, einen neuen Motor und sauber schließende Türen. Aber natürlich möchte er nachher sein altes, geliebtes Auto völlig unverändert zurück“, sagte er bei der Vorstellung seines Konzepts.
„Wir wollen die Nationalgalerie so originalgetreu wie möglich sanieren. Man soll nachher wieder die architektonische Handschrift von Mies van der Rohe erkennen und nicht etwa die von Chipperfield.“
Der während der Nazi-Zeit in die USA ausgewanderte Mies hatte den Auftrag für das Museum am Rande des damaligen West-Berlin 1962 bekommen. Bereits 76 Jahre alt, setzte der einstige Bauhauslehrer dabei seine Vision vom fließenden, offenen Raum genial um: Der gläserne Pavillon ist eine lichte, stützenfreie Halle von 2500 Quadratmetern, nur das markant vorspringende Metalldach ruht außen auf acht filigran wirkenden Stahlträgern.
Mies griff dabei auf einen nicht realisierten Entwurf zurück, den er einst für das Verwaltungsgebäude des Rum-Herstellers Bacardi auf Kuba geschaffen hatte. Nach Deutschland konnte er zur Einweihung seines Meisterwerks 1968 wegen einer Krebserkrankung nicht mehr reisen, er starb ein Jahr später in seiner US-Wahlheimat Chicago. Immerhin hatte er jedoch den spektakulärsten Augenblick miterlebt - 1967 wurde das gigantische Stahldach mit 24 synchron gesteuerten Hydraulikhebern in einem Stück auf die Glashalle aufgesetzt.
Seither hat es dort und in den Ausstellungsräumen im Untergeschoss viele großartige Projekte gegeben - wie die Sammlungspräsentationen „Moderne Zeiten“ (1900-1945) und „Der Geteilte Himmel“ (1945-1968), die 2004 eröffnete Schau „Das MoMA in Berlin“ mit ihren 1,2 Millionen Besuchern oder zuletzt Chipperfields „Intervention“, die mit 144 riesigen, entrindeten Baumstämmen die Idee des offenen Raums aufgreift.
Doch inzwischen hat das Haus „das Ende seines ersten Lebenszyklus“ erreicht, wie es Martin Reichert, Projektleiter des Büros Chipperfield, kürzlich bei einer Tagung formulierte. Die riesigen Scheiben bekommen Sprünge oder laufen an, die Metallrahmen rosten, die Dachdämmung wird feucht - nicht zu sprechen von überholter Haustechnik, veraltetem Brandschutz und fehlenden Toiletten.
Natürlich jedoch können bei einem solchen Haus am 1. Januar nicht gleich die Bagger anrücken. Rund 1600 Kunstwerke und mehrere große Skulpturen müssen erst fachmännisch in geeignete Depots gebracht werden. Zudem sollen Experten die gesamte auf Mies zurückgehende Innenausstattung bergen - vom Lichtschalter bis zu Holzpaneelen, um sie später wieder im Originalzustand einbauen zu können.
Insgesamt veranschlagt Museen-Generaldirektor Michael Eissenhauer rund ein Jahr für diese sogenannte Baufreimachung. Danach soll die Sanierung drei bis vier Jahre dauern. Über die Kosten ist noch nicht das letzte Wort gesprochen. Sie lägen voraussichtlich „im hohen zweistelligen Bereich“, so Eissenhauer. „Am Ende wird sich jeder fragen: Was wurde überhaupt gemacht? Man sieht ja gar nix.“ Hoffentlich.