Claes Oldenburg: Die Erotik des Tortenstücks
Köln (dpa) - Toiletten schnappen zu wie Haifische, Pommes frites hageln von der Decke. Claes Oldenburg zeigt die vertrautesten Dinge von einer unbekannten Seite. In den 60er Jahren war das revolutionär - und heute wirkt es immer noch frisch, beweist eine Ausstellung in Köln.
In dieses Tortenstück will man sich reinsetzen. Nicht, weil es so gut schmeckt - essen kann man es schon deshalb nicht, weil es 50 Jahre alt ist -, sondern weil es so groß und weich wie ein Polstersessel aussieht. Fast unwiderstehlich ist das Verlangen, zumindest mal hineinzukneifen, um das Material zu testen. Aber daneben steht eine grimmig dreinblickende Museumswärterin, die das Tortenstück bewacht wie die Kronjuwelen. Das Ding ist schließlich von Claes Oldenburg, und der ist einer der Großen Drei der Pop Art.
Die anderen beiden, Andy Warhol und Roy Lichtenstein, sind schon lange tot. Oldenburg dagegen lebt. Er geht zwar am Stock, ist aber trotz seiner 83 Jahre aus Amerika herübergekommen, um die große Ausstellung zu seinem Werk der 60er Jahre im Kölner Museum Ludwig zu eröffnen. „Überraschend frisch“, kommen ihm die über 200 Exponate vor. Und nicht nur ihm.
In einer solchen Fülle wird man die ebenso kostbaren wie materialempfindlichen Werke kaum mehr zu sehen bekommen. Es ist eine Ausstellung für die ganze Familie. Jeder kann sofort einen Zugang finden, denn es geht ausschließlich um Dinge, die jeder jeden Tag sieht. Stecker, Fernseher, Staubsauger, Spielzeug. Und ganz, ganz viel zu essen!
Die Pop Art war eine Reaktion auf den abstrakten Expressionismus. Dessen Tropf- und Sprühbilder, die das Innenleben des Künstlers widerspiegeln sollten, waren den Pop-Art-Künstlern viel zu abgehoben. Der normale Amerikaner lebte doch in einer völlig anderen Welt - in der des Konsums.
Dementsprechend ist die Kunst von Claes Oldenburg so gegenständlich, wie es nur geht. Allerdings sind alle Gegenstände seltsam verfremdet. Viel, viel größer zum Beispiel oder aus einem ganz anderen Material.
Gigantische Pommes frites regnen aus einer Tüte. Toiletten reißen die Klobrille auf wie der Weiße Hai sein Gebiss. Und immer wieder will man die Dinge anfassen. Viele haben eine erotisch-sexuelle Ausstrahlung, ob es nun die schlaff herunterhängenden Eiskugeln sind oder der aufblasbare rote Lippenstift. Lauter Fetische, lauter Ersatzhandlungen.
Überall im Alltag sieht Oldenburg die Kunst. Zigarettenstummel zum Beispiel, die man im Aschenbecher zerdrückt - jeder ist eine Skulptur für sich. Oder sein „Ray Gun Wing“, ein kleines Museum mit lauter Stöcken, Hölzern, Nägeln und hundert anderen Sachen, die alle zu Pistolen geformt sind - eine Technik, die er sich ohne Zweifel von kleinen Jungs abgeschaut hat, die sich bekanntlich jederzeit zu behelfen wissen, wenn ihnen die Eltern kein Kriegsspielzeug kaufen wollen.
Höhepunkt der Kölner Ausstellung ist das berühmte Mouse Museum, ein begehbarer schwarzer Kasten, in dem Oldenburg in Vitrinen kuriose Fundstücke aus der Zeit um 1960 präsentiert. „Ich weiß heute großenteils gar nicht mehr, was das mal für Sachen waren“, gesteht Oldenburg der Nachrichtenagentur dpa. „Das ist einfach verrücktes Zeugs - alles mögliche.“
Als Oldenburg sein „Museum of Popular Objects“ 1972 auf der documenta in Kassel erstmals einrichtete, fragten sich viele, was es für einen Sinn haben sollte, Alltagsgegenstände auszustellen. Heute wirken die Dinge sehr museal und großenteils so merkwürdig und fremd, dass man glaubt, sie wären eigens von Künstlern entworfen worden. Woran man sieht: Man muss nur etwas warten, dann wird aus dem Banalen von selbst etwas Besonderes.
Die Ausstellung „Claes Oldenburg - The Sixties“ läuft vom 23. Juni bis zum 30. September 2012