Von der Heydt-Museum in Wuppertal Degas und Rodin: Feine Bewegungen und handfeste Erotik

Das Von der Heydt-Museum in Wuppertal zeigt Edgar Degas und Auguste Rodin.

Wuppertal. 2017 bricht das Event-Gewitter los: Im kommenden Jahr haben sowohl Auguste Rodin als auch Edgar Degas 100. Todestag. Die Museen weltweit werden sich um die Werke der beiden französischen Künstler reißen, das Grand Palais in Paris kündigt eine gigantische Schau an.

Da ist es ein kluger Schachzug von Gerhard Finckh, Direktor des Von der Heydt-Museums in Wuppertal, bereits jetzt die beiden „Giganten der Moderne“ — so der Untertitel — in einer mit 270 Werken üppigen Ausstellung zu vereinen. Finckh findet zudem für den weltbekannten Bildhauer Rodin und den berühmten Maler Degas einen neuen Betrachtungs-Ansatz: den gemeinsamen Wettlauf zur Moderne, die ohne sie nicht denkbar wäre.

Edgar Degas fotografierte gern: Selbstporträt in seiner Bibliothek. ...

Foto: Musée d’Orsay/Dornac, Musée Rodin

Nicht, dass sich die Künstler in diesem Wettlauf buchstäblich gegenseitig angestachelt hätten. Es ist nicht einmal sicher, wie gut sie sich gekannt haben. Denn es gibt nur eine Karte von Degas an „Mein lieber Rodin“ sowie eine Einladung zu einem Essen bei Monet in Giverny, die eine Bekanntschaft belegen. Doch sie dürften sich im Laufe ihrer 77 Lebensjahre in Paris häufig über den Weg gelaufen sein. Vor allem lassen sich in ihren Arbeiten verblüffende Übereinstimmungen in ihren Interessen und Entwicklungen ablesen.

... Auguste Rodin ließ sich oft fotografieren.

Foto: Musée d’Orsay/Dornac, Musée Rodin

„Wir wollen die Parallelen nicht überstrapazieren, aber es ist ein fruchtbarer Dialog geworden“, sagte Gerhard Finckh, als er gestern den Medien die Ausstellung präsentierte. Rodin stammte aus kleinen Verhältnissen und wurde dreimal von der Pariser Kunstakademie abgelehnt. Nach einer Ausbildung an der Kunstgewerbeschule arbeitete er jahrelang für einen Bauunternehmer und fertigte Baumodelle an — wie die drei Kariatyden im ersten Raum, die einen Balkon in Brüssel stützten.

Edgar Degas hingegen war adeliger Abstimmung (De Gas), sein Vater war gut situierter Bankier. Er hatte kein Problem, an der Académie des Beaux Arts angenommen zu werden, und konnte sich auch einen dreijährigen Studienaufenthalt in Italien leisten: Davon zeugen Arbeiten im Stil von Michelangelo und anderen.

Gleich im zweiten Raum zeigt Finckh ein Schlüsselwerk: Rodins „Maske des Mannes mit der gebrochenen Nase“. Der Kopf wirkt wie von einem antiken Denker, als Modell hatte sich Rodin jedoch ein Faktotum vom Pferdemarkt ausgesucht. Schon das war ein Grund für die Jury des Pariser Kunst-Salons, das Werk entrüstet abzulehnen — das roch ja fast nach Aufruhr. Übersehen hat sie dabei allerdings, dass Rodin die erste impressionistische Plastik geschaffen hatte. Er hat auf den Bart kleine Tonkügelchen geklebt, das macht ihn lebendig. Das Gesicht glättet er kaum, belässt stattdessen die Unebenheiten — ähnlich wie der pastose Farbauftrag der impressionistischen Maler, wie die Gemälde von Courbet und Monet daneben beweisen.

Anschaulich zeigt die Ausstellung, wie die damals neuen Möglichkeiten der Serienfotografie die Künstler in ihren Bewegungsstudien von Menschen und Pferden beflügeln. Präzise hat Degas, den man eher mit flirrenden Darstellungen von Tänzerinnen verbindet, anatomische Studien von Pferdebeinen betrieben. Großzügig und dynamisch führte Rodin seinen Zeichenstift auf der Pferderennbahn.

Beide haben nicht nur gern Pferde, sondern auch nackte Frauen auf Papier und in Bronze dargestellt — Degas etwas üppiger, Rodin schlank und gelenkig. Mit Lust widmen sie sich erotischen, fast pornografischen Darstellungen, bauen jedoch Guck-Bremsen im Vordergrund ein — eine Hand mit einem Brief, Handtücher, Haare, die lang herunterhängen.

Der Höhepunkt erwartet die Besucher im letzten Raum. Hier stehen nicht nur Rodins „Heiliger Johannes“ und der daraus abgewandelte „Schreitende Mann“ als prächtiges Beispiel des Non-Finito (das absichtlich Unvollendete) nebeneinander. Hier bietet Gerhard Finckh auch viele bekannte Rodin-Skulpturen auf — ein kolossaler Adam, ein monolithischer Balzac, ein kräftiger Denker, ein inniger Kuss und die starken Studien zu den Bürgern von Calais.