documenta: Noch 100 Tage bis zur Schau der 100 Tage

Kassel (dpa) - Alle fünf Jahre beginnt das Rätselraten. Wer ist dabei? Was ist zu sehen? Die Geheimniskrämerei gehört zur documenta wie der Himmelsstürmer oder Beuys' 7000 Eichen. Am 1. März sind es noch 100 Tage bis zum Start der Weltkunstschau, die dann 100 Tage dauert.

Und auch, wenn man heute noch nicht weiß, was einen dort erwartet, so weiß man doch, dass sich rund eine dreiviertel Millionen Menschen auf den Weg in die nordhessische Provinz machen werden, um dabei zu sein.

750 000 Besucher jedenfalls waren es vor fünf Jahren, als Roger Buergel die documenta 12 leitete. Wie bereits bei dem Kenianer Okwui Enwezor davor war die Ausstellung stark politisch geprägt. Ein großer Teil der Künstler kam aus Afrika, Asien, Osteuropa, Lateinamerika, die Namen waren vorher den wenigsten ein Begriff. Das war durchaus Konzept, ging es doch um Globalisierung, Postkolonialismus und den Versuch, über den Tellerrand Europas hinauszuschauen.

Anfangs waren die Kritiken wohlwollend: neu, ungewöhnlich, interessant waren häufige Vokabeln. Dann meldeten sich immer mehr Gegenstimmen zu Wort: „Betroffenheitskitsch“ war so eine Vokabel. Im Gedächtnis geblieben sind Ai Weiweis 1001 Chinesen und sein vom Sturm versehentlich „verschönter“ Türen-Tempel sowie das löcherige Flüchtlingsboot von Hazoumé. Größter Flop war der Versuch, den „Molekularkoch“ Ferran Adriá zum Kunstwerk zu erklären und sein Lokal in der Nähe von Barcelona zum documenta-Außenstandort.

Im 13. documenta-Jahr ist eine Amerikanerin dran, Carolyn Christov-Bakargiev. Ihr Vater, ein Arzt, stammt aus Bulgarien, ihre Mutter, eine Archäologin, aus Italien, ihr letzter Wirkungsort war Sidney - ein weiter Blick dürfte also zu erwarten sein. Von ihrer Mutter habe sie gelernt, „dass man in der Vergangenheit graben muss, um die Zukunft zu verstehen“, sagte sie der dpa. So richtig greifbar wird sie auch dann nicht, wenn man ihr gegenüber sitzt. Einerseits sagt sie: „Kunst ist ein Ort um Fragen zu stellen, nicht um Antworten zu geben“. Andererseits: „Eine gute Ausstellung sollte einen Standpunkt haben.“

Vielleicht sind Nebelkerzen gar nicht unklug. Spätestens seit der documenta X unter Catherine David ist der „Diskurs“ ein bestimmendes Element jeder documenta. Lange bevor etwas zu sehen ist, wird darüber gesprochen. Das kann eine Falle sein: Im besten Fall sind die Kunstwerke die Bilder an der Wand des vorher gezimmerten Theoriegebäudes - im schlechtesten Fall erfüllt die Kunst nicht die zuvor geweckten Erwartungen. Christov-Bakargiev dämpft schon mal die Erwartungen und verspricht „weniger Spektakel“.

Doch auch, wenn Kassel die Massen lockt: Experten glauben, dass die documenta an Bedeutung verloren hat. „Für Künstler ebenso wie für Sammler hat die documenta nicht mehr das Alleinstellungsmerkmal der 50er und 60 er Jahre“, sagt beispielsweise der Vorsitzende des Bundesverbands deutscher Galerien und Kunsthändler, der Stuttgarter Galerist Klaus Gerrit Friese.

Eigentlich habe die documenta ja schon begonnen, erklärt die Chefin. Sie meint nicht nur das erste Kunstwerk, das als Vorbote der Ausstellung bereits 2010 in einem Park aufgestellt wurde: Giuseppe Penones „Ansichten eines Steins“, ein Baum aus Metall, auf dem ein Ei aus Stein wächst. Teil des Gesamtkunstwerks documenta ist auch die Schriftenreihe „100 Notizen - 100 Gedanken“, in der bis zur Eröffnung Texte, Videos, Zeichnungen oder andere Werke von Künstlern und Theoretikern veröffentlicht werden.

Unter den auf der Webseite genannten „Teilnehmern“ sind auch verstorbene Geistesgrößen wie Theodor Adorno, Walter Benjamin und Thomas Mann gelistet. In den Rubriken der teilnehmenden Berufe finden sich neben „Künstler/Künstlerin“ auch „Aktivist/Aktivistin“, Ökonom/Ökonomin“ oder „Zoologe/Zoologin“. Die documenta 13 hat den Diskurs eröffnet.