Münchner Kunstfund: Gurlitt und die „große Büberei“
München (dpa) - Der Kunsthändlersohn Cornelius Gurlitt besitzt einem Medienbericht zufolge keine weiteren Unterlagen mehr zu dem in seiner Wohnung gehorteten Kunstschatz. „Ich habe alles der Staatsanwaltschaft übergeben“, sagte Gurlitt der „Süddeutschen Zeitung“ (Mittwoch).
Die Staatsanwaltschaft Augsburg ermittelt gegen ihn wegen Steuerdelikten und Unterschlagung. Vor gut einer Woche waren die seit Frühjahr 2012 laufenden Ermittlungen bekanntgeworden, ebenso der Aufsehen erregende Kunstschatz, den die Ermittler bis dahin geheim gehalten hatten. In Gurlitts Münchner Wohnung waren rund 1400 Bilder beschlagnahmt worden, von denen fast 600 als mögliches NS-Raubgut gelten.
Kontakte zu Gurlitt sind rar. Als „Phantom“, ohne Meldeadresse und Krankenversicherung, war er durch die Presse gegeistert, nachdem der spektakuläre Kunstfund vor gut einer Woche öffentlich wurde. Vor allem die Möglichkeit, dass darunter Bilder sein könnten, die ihren früheren Eigentümern unter dem Druck der Nationalsozialisten entzogen worden waren, sorgten für Aufsehen. Schlagartig war Gurlitt in den Fokus der weltweiten Aufmerksamkeit gerückt. Und weil die Augsburger Staatsanwaltschaft den Eindruck erweckt hatte, nichts über Gurlitts Aufenthaltsort zu wissen, versuchten stattdessen Reporter, ihn aufzuspüren.
Mit Erfolg. So erwischte ihn etwa die „Süddeutsche Zeitung“, als Gurlitt am Dienstag mit Rollkoffer in ein Taxi steigen wollte. Ein Fluchtversuch? „Keine Sorge, ich komme bald zurück“, beruhigte er die Journalistin, die ihn vor der Wohnung getroffen hatte, in der bis zum 2012 der sensationelle Kunstschatz heimlich gelagert hatte. „Ich bin auf dem Weg nach Würzburg zum Arzt.“ Er habe gebrechlich gewirkt, schreibt das Blatt. Große Lust auf mediale Aufmerksamkeit schien er nicht zu haben. Sein knapper Kommentar stattdessen: „Das alles ist eine große Büberei.“
Kunstexperten beschäftigt vor allem die Frage, wie es mit den mehr als 1400 Kunstwerken weitergeht, darunter hochkarätige Werke von Marc Chagall, Otto Dix oder Henri Matisse. Eine zentrale Frage: Wem gehören die Bilder und befindet sich NS-Raubkunst darunter, die unter Umständen an frühere Eigentümer zurückgegeben werden muss?
Ganz wichtig sei jetzt, diese Aufklärung zu forcieren, sagte am Mittwoch die CDU-Kulturexpertin Monika Grütters im rbb-inforadio. Aber: „Mit Bedacht, denn da wird auch viel reingeheimnist.“ Man müsse zumindest versuchen, das schreiende Naziunrecht auszugleichen. Gleichzeitig gestand Grütters ein: „Man wird das nicht immer heilen können, was die Nazis angerichtet haben.“
Der Berliner Rechtsanwalt und Kunstexperte Peter Raue appellierte an die Bundesregierung, schnellstmöglich eine Goodwill-Vereinbarung mit Cornelius Gurlitt zu schließen. „Deutschland hat sich mit dem Washingtoner Abkommen verpflichtet, so weit wie möglich zur Wiedergutmachung von NS-Unrecht beizutragen“, sagte Raue am Mittwoch der Nachrichtenagentur dpa. „Eine Grundsatzvereinbarung könnte jetzt die Rückgabe der Kunstwerke an berechtigte jüdische Familien sehr vereinfachen.“
Die Veröffentlichung zweifelhafter Werke auf der Internetplattform www.lostart.de, die am Montag anlief, nannte der Anwalt einen ersten Schritt in die richtige Richtung. „Das ändert aber nichts daran, dass die Informationspolitik der Behörden nach wie vor skandalös ist. Warum wurden jetzt diese 25 Bilder eingestellt und nicht andere? Wann kommen die nächsten? Welche Kriterien gibt es? Betroffene Erben tappen nach wie vor völlig im Dunkeln.“
Ein großes Problem bei der Rückgabe an die meist jüdischen Eigentümer: die Verjährung. Öffentliche Institutionen machten den Verjährungseinwand in diesen Fällen nicht geltend, sagte die Berliner Rechtsanwältin Katharina Garbers-von Boehm von der Kanzlei CMS Hasche Sigle im Interview mit dpa. Anders könne dies bei Privatpersonen sein. Eine Rückgabe sei aber nicht völlig aussichtslos. „In der Praxis wird in solchen Fällen ganz häufig eine Einigung gefunden.“